Die Folgen von Covid-19 für die Psyche – Depressionen in der Pandemie
Für viele Menschen hat sich der Alltag während der Covid-19-Pandemie grundlegend verändert. Die Gefahr, sich zu infizieren und die Angst um Verwandte und Freunde stellen eine große Belastung dar. Auch die Erkrankung selbst kann nach Genesung zu langfristigen Folgen führen. Die Anzahl von Menschen, die sich in Deutschland wegen psychischer Beschwerden krankmelden, stieg in der Pandemie-Zeit um 80% an (1). In einer Übersichtsstudie, die internationale Untersuchungen zu psychischen Krankheiten während der Pandemie zusammenfasst, wird für die allgemeine Bevölkerung bei 33,7% der befragten Menschen eine klinisch relevante Depression festgestellt (2).
In den USA traf die Pandemie die Bevölkerung besonders hart. Das äußert sich auch in einer drastischen Zunahme von depressiven Erkrankungen. Eine repräsentative Umfrage ergab demnach, dass 5,1% der Menschen an einer schwerwiegenden Depression litten, während vor dem Ausbrauch des Virus nur 0,7% der Bevölkerung eine schwere Depression aufwiesen. Die Prävalenz für eine milde Depression lag während der Pandemie bei rund 25% während sie vor der Pandemie nur bei 16% lag. Als Risikofaktoren wurden hierbei vor allem ein geringes Einkommen und fehlende Rücklagen identifiziert (3).
In Deutschland werden erst langsam Daten zum Stand der psychischen Gesundheit während der Pandemie veröffentlicht. Auch hier ist eine allgemeine Verschlechterung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung zu beobachten. Die Nako-Gesundheitsstudie wertete Daten von 113.000 Menschen während der Pandemie aus. Sie stellte dabei eine besondere Belastung bei Erwachsenen zwischen 20 und vierzig Jahren fest. Besonders junge Frauen seien betroffen, die durch Pflege und Betreuung, Aufgaben im Haushalt und Homeoffice belastet seien. Bei älteren Menschen über 60 Jahren traten, trotz ihres Status als Risikogruppe, kaum Verschlechterungen auf (4) (5).
Allgemein häufen sich Fälle von depressiven Episoden, Angsterkrankungen und Verschärfungen von Suchtproblematiken. Das psychotherapeutische Versorgungsnetz in Deutschland reagiert flexibel auf die neuen Entwicklungen (z.B. durch das erhöhte Angebot von Online-Therapie). Allerdings können die mittel- und langfristigen psychischen Folgen der Pandemie noch nicht abgesehen werden.
Wegen neuer Verschärfungen von Ausgangsbeschränkungen und der anstehenden dunklen Jahreszeit ist jedoch kurzfristig eher mit einer zusätzlichen Belastung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung zu rechnen. Auch die langfristigen Folgen einer wirtschaftlichen Krisensituation für die Psyche sind nicht zu unterschätzen.
Warum macht uns die Pandemie anfällig für Depressionen?
Die Gründe, warum die Pandemie auch die psychische Gesundheit angreift, sind vielfältig. Für fast alle Menschen geht die Pandemie-Situation mit einer drastischen Umstellung des Alltags einher. Auch die Gefahr einer Ansteckung mit einem potenziell tödlichen Virus stellt für die meisten Menschen einen großen Stressor dar.
Dazu häufen sich individuelle Schicksalsschläge, wie der Verlust einer Bezugsperson oder der Verlust des Arbeitsplatzes als direkte Folgen der Pandemie. Psychische Vorerkrankungen, eine beengende Wohnsituation und der Wegfall sozialer Kontakte stellen weiterhin Gefahren für die psychische Gesundheit während der Pandemie dar.
Veränderter Alltag
Veränderungen im Alltag äußern sich zum Beispiel dadurch, dass viele alltägliche Aktivitäten in die eigenen vier Wände verlegt werden, sozialer Kontakt mit Freunden und Verwandten stark eingeschränkt oder ins Digitale verlegt wird. Auch Hobbies und Freizeitbeschäftigungen können häufig nicht mehr wie zuvor ausgeübt werden.
Besonders schwierig ist die Situation für Hinterbliebene von Verstorbenen, Menschen, die in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht sind und Menschen, die sich in Quarantäne begeben müssen. Auch medizinisches und Pflegepersonal ist besonders betroffen (6) (7).
Für viele Menschen mit psychischen Krankheiten stellen die pandemiebedingten Umstellungen des Alltags ebenfalls ein besonderes Problem dar. Gerade Mechanismen, durch die Depressionen und Angststörungen ausgelöst werden können, traten in der Phase der strengen Kontaktbeschränkungen verstärkt auf. So sind Kurzarbeit, der Wegfall von Freizeitbeschäftigungen und sozialem Kontakt Faktoren, die zu einem Verlust von Tagesstruktur führen können. Eine geregelte Tagesstruktur aufrecht zu erhalten ist gerade in Krisenzeiten besonders wichtig, weil sie depressive Episoden abschwächen kann oder sogar verhindern kann.
Außerdem fallen sogenannte Verstärker weg. Für viele Menschen gibt es weniger Aktivitäten, die Spaß machen. Gemäß des sogenannten Verstärker-Verlust-Modells können Menschen so in eine Negativ-Spirale geraten. Wenn sie weniger Aktivitäten als angenehm erleben, führt dies zu einer allgemeinen Abnahme von Aktivität. Es kann dazu kommen, dass Menschen, die anfällig für Depressionen sind, sich zurückziehen, kaum noch aktiv sind und depressive Symptome entwickeln.
Weitere Risikofaktoren
Die veränderten Alltagsbedingungen können jedoch auch zu weiteren Problemen führen. Für Menschen, die mit ihrem Partner oder ihrer Familie zusammenwohnen, bedeutet dies, ungewohnt viel Zeit in den gemeinsamen vier Wänden zu verbringen. Was für viele Menschen sehr schön ist, kann in manchen Fällen jedoch zu häuslicher Gewalt führen. Als belastender Faktor kommt dazu, dass es besonders in der akuten Phase der Ausgangsbeschränkungen für Frauen und Kinder kaum Ausweichmöglichkeiten gab, um einem gewaltvollen Haushalt zu entkommen.
Eine repräsentative Online-Umfrage der TU München und dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (8) hat 3800 Frauen zu ihrer Situation während der Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr befragt. Dabei berichteten 3 Prozent der Frauen Opfer körperlicher Gewalt sowie 3,6% berichteten von ihrem Partner zu Geschlechtsverkehr gezwungen worden zu sein.
Auch Kinder sind besonders schlimm von der Situation betroffen. In 6,5% der Haushalte wurden Kinder gewalttätig bestraft. Die Zahlen waren höher, wenn die Haushalte von finanziellen Sorgen belastet waren, einer der Partner in verordneter Quarantäne war oder psychische Vorerkrankungen wie Depressionen und Angsterkrankungen bei den Betroffenen vorlagen.
Für Menschen, für die die Umstellung des Alltags eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit darstellt, wird die Pandemie zu einer immensen psychischen Belastung. Auch wenn Grenzen der körperlichen Unversehrtheit nicht überschritten werden, können beengende Wohnsituationen ohne Rückzugsmöglichkeit und der Wegfall anderer Bezugspersonen zu negativem Stress führen, der das Risiko für Depressionen erhöht. Auch für andere Risikogruppen wird die Pandemie zur besonderen Belastung.
Psychische Störungen, die mit Depressionen einhergehen
Depressionen gehen häufig mit Angststörungen oder Substanzmissbrauch einher. Auch Angststörungen können durch die Pandemie verstärkt werden. Die Gefahr, sich mit dem Coronavirus zu infizieren ist eine reale Quelle der Angst. Menschen werden dazu angehalten, zuhause zu bleiben. Durch mangelnde Übung und ausbleibendem Lerneffekt, können dadurch bereits bestehende soziale Ängste verstärkt werden. In Zeiten erhöhter Kontaktbeschränkungen kam es zudem zu einer Zunahme von Alkohol- und Drogenkonsum.
Die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Nürnberg und die Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) Mannheim führten eine Online-befragung zum Alkohol- und Tabakkonsum während der Pandemie durch. 37,4 % der Befragten gaben an, einen erhöhten Alkoholkonsum seit Beginn der Ausgangseinschränkungen zu haben (9). Vor allem Alkoholkonsum kann sich negativ auf schon vorhandene psychische Störungen auswirken oder auch zu Gewalt führen (10).
Sekundäre Folgen der Epidemie und Forderungen an die Politik
Die ökonomische Situation von Menschen ist entscheidend für die psychischen Konsequenzen der Pandemie. Wer auf Rücklagen zurückgreifen kann, einen sicheren Job hat oder aus anderen Gründen kein Absinken des Lebensstandards fürchten muss, ist weniger gefährdet, Symptome einer psychischen Krankheit zu entwickeln. Akute finanzielle Probleme oder Ungewissheit, ob in Zukunft noch ein regelmäßiges Einkommen zur Verfügung steht, können Gefühle von Hoffnungslosigkeit hervorrufen.
Neben Forderungen nach Aufklärung und Finanzierung psychotherapeutischer Maßnahmen, stellen Forscherinnen und Forscher, die sich mit den psychischen Konsequenzen der Pandemie beschäftigen, deshalb auch Forderungen nach sozialer und medizinischer Absicherung für sozial Schwache. Menschen, die keine Rücklagen haben, die ihren Job verloren haben oder um den Verlust fürchten, trifft die Pandemie am stärksten (11).
Wie ist die Lage der psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung momentan?
Die psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung ist jetzt besonders wichtig. Allerdings ist auch sie von der Pandemiesituation betroffen. Viele Tageskliniken waren geschlossen und psychosomatische Kliniken nahmen nur noch eine geringere Anzahl von Menschen auf, um das Infektionsrisiko so gering wie möglich zu halten. Immer noch können Patienten nicht in Mehrbettzimmern aufgenommen werden, was die Anzahl der Patienten reduziert und auch die finanzielle Lage der Kliniken bedroht (12).
Psychotherapien können wie Arztbesuche zwar noch normal stattfinden, allerdings steigen viele Therapeutinnen und Therapeuten auch auf Online-Angebote um, um sich und ihre Patienten zu schützen. Eine österreichische Online-Umfrage befragte Psychotherapeuten nach ihren Erfahrungen mit der Online-Therapie. Sie gaben an, positiv überrascht über den Erfolg von Online- und Telefontherapie zu sein (13) (14).
Was kommt auf uns zu?
Die psychischen Folgen der Pandemie sind noch nicht abzusehen. Das liegt vor allem daran, dass die wirtschaftlichen Folgen und der weitere Verlauf der Pandemie noch nicht vorhersagbar sind.
Sicher ist jedoch, dass es mittelfristige Folgen in der psychischen Gesundheit der gesamten Bevölkerung geben wird. In einer vielzitierten Studie am Kings College London wurde evaluiert, welche psychische Konsequenzen Menschen davongetragen haben, während vorheriger Epidemien oder Pandemien in Quarantäne gewesen zu sein.
Es zeigt sich, dass Quarantänemaßnahmen auch mittelfristig negative Auswirkungen auf die Psyche haben. Die Wahrscheinlichkeit steigt, Depressionen oder Angststörungen zu entwickeln. Das liegt vor allem an einem Anstieg von stressbezogenen Symptomen. Die Schwere und Dauer der psychischen Einschränkungen hängen von Faktoren wie der Angst vor Infektionen der Angst, andere anzustecken, Langeweile, mangelnder Versorgung, Ungewissheit und Isolation ab (15).
Die Ergebnisse sind zwar nur mit großen Einschränkungen auf die aktuelle Situation zu übertragen, weil hier größere Teile der Bevölkerung von solchen Maßnahmen betroffen sind, jedoch sind sie trotzdem alarmierend. Die zunehmende Depressionsrate führt auch zu einer erhöhten Suizidrate.
In einem virtuellen Podiumsgespräch der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina Ende September betonte der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité Andreas Heinz, dass mit einer erhöhten Suizidrate zu rechnen ist. Es gebe noch keine aktuellen Daten, die die Auswirkungen der Pandemie auf die Suizidrate in Deutschland zuverlässig zeigen. Dass die Suizidrate infolge von Wirtschaftskrisen steige, sei jedoch gut belegt (16).
Resilienz fördern – Wie können Sie sich und Patienten helfen
Stress und Angst sind ganz normale Reaktionen auf den Ausbruch einer globalen Pandemie und können das Risiko zur Entstehung einer Depression bzw. die Verstärkung depressiver Symptome begünstigen. Der Umgang mit diesen Phänomenen ist deshalb besonders wichtig. Empfehlungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerinnen beziehen sich häufig auf bekannte und hilfreiche Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz insbesondere gegen Depressionen, gehen aber auch spezifisch auf die Pandemie Situation ein.
Dazu gehören Sport, eine ausgewogene Ernährung, regelmäßig Kontakte (online) pflegen, eine Tagesstruktur entwickeln, sich Zeit für angenehme Aktivitäten nehmen und regelmäßige Unterbrechungen des Medienkonsums einplanen. Für Menschen, die in der medizinischen Versorgung arbeiten, wird empfohlen, das eigene Stresslevel zu überwachen und dementsprechend regelmäßig Pausen einzulegen. Es kann helfen, angenehme Aktivitäten in den Alltag einzubauen und mit anderen Menschen Kontakt zu pflegen (17).
Literatur
1. https://www.kkh.de/presse/pressemeldungen/krankenstand
2. Salari, N., Hosseinian-Far, A., Jalali, R., Vaisi-Raygani, A., Rasoulpoor, S., Mohammadi, M., ... & Khaledi-Paveh, B. (2020). Prevalence of stress, anxiety, depression among the general population during the COVID-19 pandemic: a systematic review and meta-analysis. Globalization and health, 16(1), 1-11.
3. Ettman, C. K., Abdalla, S. M., Cohen, G. H., Sampson, L., Vivier, P. M., & Galea, S. (2020). Prevalence of depression symptoms in US adults before and during the COVID-19 pandemic. JAMA network open, 3(9), e2019686-e2019686.
6. Goolsbee, A., & Syverson, C. (2020). Fear, lockdown, and diversion: Comparing drivers of pandemic economic decline 2020 (No. w27432). National Bureau of Economic Research.
7. Bering, R., & Eichenberg, C. (2020). Die Psyche in Zeiten der Corona-Krise. Herausforderungen und Lösungsansätze für Psychotherapeuten und soziale Helfer. Stuttgart: Klett-Cotta.
8. https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/36053/
10. Gäbel, G., & Kröger, K. (2020). Risiken der „Stay at home “-Politik im Rahmen der COVID-19-Pandemie. Gefässchirurgie, 1-5.
11. Vinkers, C. H., van Amelsvoort, T., Bisson, J. I., Branchi, I., Cryan, J. F., Domschke, K., ... & van der Wee, N. (2020). Stress resilience during the coronavirus pandemic. European Neuropsychopharmacology.
12. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/sw/psychische%20erkrankungen?s=&p=1&n=1&nid=116894
13. Humer, E.; Stippl, P.; Pieh, C.; Pryss, R.; Probst, T. (2020). Psychodynamic, humanistic, systemic, and behavioral psychotherapists' experiences with remote psychotherapy during COVID-19 in Austria: A cross-sectional online survey. Journal of Medical Internet Research. https://doi.org/10.2196/20246
14. Probst, T.; Humer, E.; Stippl, P.; Pieh, C. (2020). Being a Psychotherapist in Times of the Novel Coronavirus Disease: Stress-Level, Job Anxiety, and Fear of Coronavirus Disease Infection in More Than 1,500 Psychotherapists in Austria Frontiers in Psychology, 11: Article 559100, https://doi.org/10.3389/fpsyg.2020.559100
15. Brooks, S. K., Webster, R. K., Smith, L. E., Woodland, L., Wessely, S., Greenberg, N., & Rubin, G. J. (2020). The psychological impact of quarantine and how to reduce it: rapid review of the evidence. The Lancet.
16. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/sw/psychische%20erkrankungen?s=&p=1&n=1&nid=116894
17. Vinkers, C. H., van Amelsvoort, T., Bisson, J. I., Branchi, I., Cryan, J. F., Domschke, K., ... & van der Wee, N. (2020). Stress resilience during the coronavirus pandemic. European Neuropsychopharmacology.