„Ich muss erst jede Türklinke desinfizieren, bevor ich sie anfasse!“ Oder: „Bevor ich meine Wohnung verlassen kann, kontrolliere ich mindestens zehn Mal, ob ich den Herd auch wirklich ausgeschaltet habe.“ Wenn Menschen solche und ähnliche „Marotten“ wiederholt und intensiv ausleben, liegt der Verdacht auf eine Zwangsstörung nahe, die ihnen ein normales Leben jedoch extrem erschweren kann.
Symptome und Beschwerden Wie Sie Zwangsstörungen erkennen können
Eine Zwangsstörung ist durch das Vorhandensein von Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen gekennzeichnet.
Zwangsgedanken sind wiederkehrende Gedanken, Impulse oder Bilder, die als aufdringlich und ungewollt erlebt werden.
Zwangshandlungen sind sich wiederholende, beobachtbare Verhaltensweisen oder mentale (rein gedankliche) Handlungen, zu denen sich eine Person als Reaktion auf einen Zwangsgedanken oder aufgrund von streng zu befolgenden Regeln gezwungen fühlt.
Die Inhalte von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen unterscheiden sich von Person zu Person. Es handelt sich um Themen wie:
- Reinigung (Habe ich alles unternommen, um mich vor Bakterien oder Viren zu schützen? Sollte ich meine Hände lieber mit der Bürste schrubben, anstatt nur zu waschen?)
- Symmetrie
- verbotene oder tabuisierte Gedanken (zum Beispiel die Vorstellung, einem anderen Menschen Gewalt anzutun)
- das Verursachen von Schaden (Ist die Herdplatte wirklich ausgestellt? Wurde die Haustür wirklich abgeschlossen?)
Manche Menschen haben solche „Marotten“, doch nicht jede Marotte ist gleich eine Zwangsstörung. Denn so unterschiedlich wir Menschen sind, so unterschiedlich sind auch unsere Bedürfnisse (oder auch „Vorlieben“) für gewisse kleine Rituale, wie etwa den Morgenkaffee nach einer ganz bestimmten Methode zuzubereiten, den Koffer auf die immer gleiche Weise zu packen oder das Abendessen immer zur gleichen Zeit einzunehmen. Diese „Zelebrierungen“ sind in der Regel harmlos, auch dann, wenn uns „die Umstände zu dieser oder jener Verhaltensweise zwingen“. Nehmen sie jedoch überhand, können sie als Zwangsstörung unser tägliches Leben mehr oder weniger stark beeinträchtigen. Im Extremfall sind Menschen, die an einer ernsthaften Zwangsstörung oder -erkrankung leiden, schon nach relativ kurzer Zeit kaum oder überhaupt nicht mehr in der Lage, einem geregelten Tagesablauf nachzugehen oder sich zu versorgen. Da ihr soziales Umfeld auf ihr zwanghaftes Verhalten jedoch zumeist mit Unverständnis reagiert, versuchen sie, ihre Zwangshandlungen zu verstecken, was typischerweise zu einer weiteren psychischen Belastung und längerfristig in die soziale Isolation führt.
Neben den bekannten Zwangsgedanken und Zwangshandlungen kennt die Psychiatrie noch zahlreiche weitere Indikationen.
Zu den Zwangsstörungen und verwandten Störungen (ZWAV) zählen nach DSM-5 (künftig auch nach ICD-11) neben der Zwangsstörung daher auch:
Die Körperdysmorphe Störung, die durch wahrgenommene Defekte oder Mängel im äußeren Erscheinungsbild und ständiges Überprüfen gekennzeichnet ist
Das pathologische Horten, bei dem das Bedürfnis, eigenes Hab und Gut aufzubewahren, im Vordergrund steht
Die Dermatillomanie (Pathologisches Hautzupfen) und die Trichotillomanie (Pathologisches Haareausreißen). Beide Störungsbilder sind durch körperbezogene Wiederholungszwänge gekennzeichnet
Das Zwangsgrübeln (ununterbrochenes Nachdenken über ein – häufig lebensfernes – Thema, ohne jemals zu einer Lösung zu gelangen)
ZWAV (Zwangsstörungen und verwandte Störungen, zum Beispiel zwanghafte Eifersucht oder auch Nägelkauen)
Zwangsspektrumsstörungen (Metabegriff für zahlreiche Störungen der Impulskontrolle; darunter fallen auch Aspekte der Spiel- und der Internetsucht)
Selbsttest und -diagnose einer Zwangsstörung
Selbstverständlich gehört die fundierte Diagnostik einer Zwangsstörung grundsätzlich in die Hände eines erfahrenen Arztes oder Psychologen. Dennoch kann man bereits mit fünf Fragen herausfinden, ob eine Zwangsstörung möglicherweise vorliegt:
Benötigen Sie viel Zeit fürs Waschen und Putzen?
Haben Sie sich schon öfter dabei ertappt, Tätigkeiten mehrfach zu kontrollieren?
Werden Sie von Gedanken gequält, die Sie nicht loswerden können?
Benötigen Sie für alltägliche Tätigkeiten übermäßig viel Zeit?
Sind Sie besonders sorgfältig, was Ordnung und/oder Symmetrie betrifft?
Beachten Sie hierzu auch gerne unseren Selbsttest Zwangsstörung.
Wenn Sie eine dieser Fragen mit „Ja“ beantworten und wenn Sie bereits wiederkehrende Beeinträchtigungen erlebt haben, könnte bei Ihnen eine Zwangsstörung vorliegen. Bitte beachten Sie jedoch, dass kein Selbsttest die fundierte Diagnose eines (Fach-)Arztes oder spezialisierten Psychologen ersetzen kann, sondern lediglich einer relativ oberflächlichen Selbsteinschätzung dienen kann.
Die Diagnosekriterien einer Zwangsstörung
Nach den internationalen und nationalen Diagnosekatalogen (DSM-5 und ICD-11) finden sich bei Menschen mit einer Zwangsstörung Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen – zumeist sogar beides:
Zwangsgedanken sind definiert durch:
immer wiederkehrende und anhaltende Gedanken, Impulse oder Vorstellungen,
- die mindestens zeitweilig als aufdringlich und ungewollt empfunden werden und
- die meist ausgeprägte Angst und großes Unbehagen hervorrufen.
Die Person versucht, diese Gedanken, Impulse oder Vorstellungen zu ignorieren
- oder zu unterdrücken oder
- sie mithilfe anderer Gedanken oder Tätigkeiten zu neutralisieren (zum Beispiel durch die Ausführung einer Zwangshandlung).
Zwangshandlungen sind definiert durch:
wiederholte Verhaltensweisen (zum Beispiel Hände waschen, ordnen, kontrollieren) oder mentale (geistige) Handlungen (zum Beispiel beten, zählen, Wörter lautlos wiederholen),
- zu denen sich die Person als Reaktion auf einen Zwangsgedanken oder
- aufgrund von streng zu befolgenden Regeln gezwungen fühlt.
Die Verhaltensweisen oder die mentalen Handlungen dienen dazu,
- Angst oder Unbehagen zu verhindern oder
- zu reduzieren oder
- gefürchteten Ereignissen oder Situationen vorzubeugen.
- Diese Verhaltensweisen oder mentalen Handlungen stehen jedoch in keinem realistischen Bezug zu dem, was sie zu neutralisieren oder zu verhindern versuchen, oder sie sind deutlich übertrieben.
Die Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen sind zeitintensiv (mehr als eine Stunde pro Tag) oder verursachen in bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen im sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.
Laut ICD-11 (Internationale Klassifikation der Krankheiten, herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation WHO) bestehen bei Zwangserkrankungen folgende Diagnosekriterien:
- Nachweis von regelmäßigen Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen über mindestens zwei Wochen
- Wahrnehmung der Zwangsgedanken als eigene Gedanken (im Gegensatz zu von außen „aufgezwungenen“ Gedanken)
- erfolglose Versuche, sich gegen diese Gedanken zu wehren bzw. die Handlungen zu unterlassen
- stereotype Wiederholung der Zwangssymptome
- bewusste Wahrnehmung der Symptome als übertrieben und/oder sinnlos
- Einschränkung der Lebensqualität durch die auftretenden Symptome, z. B. Herabsetzung der Leistungsfähigkeit, Behinderung sozialer Kontakte
Machen Sie den Selbsttest!
Wenn Sie die Vermutung haben, dass Sie an einer Zwangsstörung leiden, können Sie sich mit unserem Selbsttest ein klareres Bild verschaffen.
Die bekanntesten Zwangsstörungen Zwangsstörungen sind immer so individuell wie die Betroffenen selbst
Nachfolgend haben wir für Sie die bekanntesten – und wohl auch häufigsten – Zwangsstörungen aufgelistet:
Diese Zwangshandlungen beziehen sich zumeist auf die eigene Person oder die eigene Umgebung. Sie sind durch eine panische Angst vor Schmutz gekennzeichnet, der als Bedrohung empfunden wird – wobei die Auslöser dieser Zwangsstörung häufig einen konkreten Hintergrund haben:
- Straßendreck, Vermüllung, Verunreinigung durch Fäkalien
- Viren, Bakterien bzw. ansteckende Krankheiten im Allgemeinen
- die „abstrakte Verschmutzung“: „Jemand, den ich nicht mag, hat mich angefasst.“
Der Zwang zur Reinigung oder Desinfizierung kann sich sogar schon durch die gedankliche Vorstellung ergeben. Dabei übersehen die Betroffenen leicht, dass eine zu häufige Reinigung des Körpers eine gesundheitliche Gefahr darstellt: Der Säureschutzmantel der Haut wird überstrapaziert, kleinere Hautverletzungen (durch zu heftiges Bürsten) werden erst recht zu Eintrittspforten für Viren oder Bakterien. So wird das Gegenteil des eigentlichen Ziels erreicht, was den Waschzwang wiederum verstärken kann.
Patienten, die an Waschzwang leiden, versuchen oft, auch ihre Wohnung pedantisch rein zu halten, und wechseln auch mehrmals am Tag ihre Kleidung, um sich vor den vermeintlichen Gefahren äußerer Einflüsse zu schützen. So wird ein normales, entspanntes Verhältnis zu ihrer Umgebung unmöglich. Die Betroffenen meiden öffentliche Orte, reduzieren ihre persönlichen Kontakte auf das unbedingt nötige Maß und dulden Besucher in der eigenen Wohnung nur dann, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt. Ihr Verhalten führt zwangsläufig zu einem schleichenden sozialen Rückzug, die Betroffenen bleiben mit ihrer Zwangshandlung allein.
Ich habe alle elektrischen Geräte immer wieder kontrolliert. Je mehr ich sie kontrollierte, desto unsicherer wurde ich; unterdrückte ich aber die Kontrollen, wurde ich noch unsicherer. Irgendwann wollte ich einfach rausfinden, was mit mir los war.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Dieses Zitat wird dem russischen Revolutionsführer Lenin zugeschrieben, auch wenn er es so nie gesagt hat. Doch genau dieser Satz ist das Credo von Patienten mit Kontrollzwängen: Sie vertrauen weder dem eigenen Erleben noch dem eigenen Wissen und können sich auch auf ihre eigenen Erfahrungen nicht verlassen. Deshalb müssen sie sich immer wieder vergewissern, ob sie ihre Haus- oder Wohnungstür wirklich abgeschlossen und die Fenster tatsächlich verriegelt haben. Oder sie befürchten, dass in ihrer Abwesenheit ein Wohnungsbrand ausbrechen könnte, weil sie den Herd oder das Bügeleisen nicht ausgeschaltet haben.
Dann werden auch schon mal Angehörige, Freunde oder Nachbarn gebeten, doch „mal eben schnell“ nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Wer mag da schon „Nein“ sagen? Doch diese im Grunde freundliche Hilfe bietet einem Menschen, der unter Kontrollzwang leidet, die Möglichkeit, die eigene Verantwortung abzugeben und im Zweifelsfall „schuldhaftes Verhalten“ delegieren zu können.
Der Wiederholungs- und der Zählzwang liegen häufig dicht beieinander. Eine Tätigkeit muss dabei in einer bestimmten Anzahl wiederholt werden, damit sich die Betroffenen gut fühlen können: So müssen Betroffene beispielsweise das Licht exakt drei Mal an- und wieder ausschalten, bevor sie einen Raum verlassen.
Ich esse immer nur zwei Gummibärchen, benutze stets zwei Blatt Toilettenpapier, nasche in den Pausen zwei Müsliriegel … Die Zahl Zwei bestimmt mein Leben – denn wenn ich nur eins von einer Sache nehme, fühle ich mich sofort unwohl.
Menschen, die an einem Zählzwang leiden, stellen die Regeln über die Anzahl von Wiederholungen oder die Bedeutung von Zahlen selbst auf, wobei es keine typischen oder nachvollziehbaren Kriterien gibt. In anderen Fällen werden immer wieder Bücher im Regal, Fliesen in der Küche oder Pflastersteine auf dem Bürgersteig gezählt. Die Patienten können bisweilen nicht einmal begründen, warum sie sich so verhalten, doch sie spüren, dass ihnen der Zählvorgang Sicherheit gibt oder ein unangenehmes Gefühl von „Unvollständigkeit“ neutralisiert. Häufig sorgen ungerade Zahlen für körperliches Unbehagen, wobei „ungerade“ für „ungeordnet“ stehen kann.
Hinter einem Wiederholung- oder Zählzwang verbirgt sich nicht selten ein „magisches Denken“, verbunden mit der Furcht, dass bei Nichteinhaltung der eigenen Regeln nahestehenden Menschen etwas Schlimmes passieren könnte.
„Ordnung ist das halbe Leben“, sagt der Volksmund. Bei manchen Menschen bestimmt die Ordnung jedoch das ganze Leben. Bücher müssen der Größe nach sortiert im Regal stehen, Kleidung muss in einer bestimmten Reihenfolge im Schrank hängen, und das Vorratsregal ist alphabetisch sortiert – erst dann können sich Betroffene einer anderen Tätigkeit widmen. Selber aufgestellte, für Außenstehende nicht nachvollziehbare Ordnungskriterien sollen diesen Menschen helfen, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Zumeist kommt zu dieser exakten Ordnung auch die exakte Symmetrie hinzu. Allerdings würde dieses Verhalten allein noch keine Störungsdiagnose rechtfertigen – sondern nur dann, wenn der Ordnungszwang so exzessiv wird, dass andere wichtige Lebensbereiche immer stärker vernachlässigt werden.
Wenn Konservendosen oder Flaschen nicht mit dem Etikett nach vorne ausgerichtet sind oder wenn Stifte nicht nebeneinander mit der Spitze nach vorne liegen, fühle ich mich unwohl. Alles muss exakt sein.
Unordnung oder fehlende Symmetrie bedeuten für diese Menschen Chaos, Bedrohung, Gefahr. Sie erzeugen Unruhe und Ängste, dass die Unruhe oder das Chaos sie überwältigen könnte. Deshalb müssen sie sofort wieder Ordnung herstellen. Und obwohl sich die Betroffenen oft darüber bewusst sind, dass ihr Verhalten übertrieben oder unangemessen ist, finden sie keinen Ausweg. In anderen Fällen, in denen der Ordnungsdrang einer zwanghaften Persönlichkeitsstruktur entspringt, wird ihr Verhalten von den Betroffenen als völlig normal, angemessen und sogar vorbildlich erachtet.
Ich putze meine Zähne morgens und abends jeweils 80 Minuten. Jeweils 10 Minuten links oben außen, dann links oben innen und das Gleiche auf der rechten Seite. Dann putze ich links unten und rechts unten, jeweils außen und innen, und zwar immer in dieser Reihenfolge.
Alle Ausprägungen dieser Zwangshandlungen nehmen durch die besonders gründliche Ausübung der Rituale viel Zeit in Anspruch. Die Langsamkeit selbst ist dabei das Symptom, Genauigkeitsaspekte werden mit Aspekten der Gleichbehandlung verbunden: Jeder Zahn, wie im Zitat, oder auch jedes Haar wird auf dieselbe Art geputzt oder gepflegt. Werden die Betroffenen dabei gestört, müssen sie häufig noch einmal ganz von vorne beginnen.
Im Grunde ist der Mensch ein Jäger und Sammler, wobei das Sammeln sich auf Nahrung bezieht, die sofort oder später gegessen wird. Doch auch der moderne Mensch ist ein Sammler: Er sammelt Briefmarken, Münzen, Modellautos, Polizeimützen oder alte Möbelstücke. Solange das als Hobby betrachtet wird und die Anzahl der Sammlerstücke nicht übertrieben hoch wird, ist es ungefährlich. Kann man sich aber von Gegenständen nicht trennen, auch wenn sie nicht zum Hobby gehören, besteht die Gefahr einer krankhaften Störung, des Sammelzwangs (pathologisches Horten).
Pathologisches Horten ist durch die Schwierigkeiten charakterisiert, sich von eigenem Hab und Gut zu trennen oder Dinge, unabhängig von ihrem materiellen Wert, wegzuwerfen. Dies ist Ausdruck eines ausgeprägten Bedürfnisses von Betroffenen, Dinge aufzuheben, verbunden mit erheblichem Leiden beim Wegwerfen. Pathologisches Horten unterscheidet sich von normalem Sammeln dadurch, dass große Mengen an Dingen angesammelt werden und der eigene Wohnbereich so weit überfüllt oder eingeschränkt wird, dass er nicht mehr genutzt werden kann. Im Extremfall kann es zu jenen Ausprägungen kommen, die man heute laienhaft mit „Messie-Syndrom“ bezeichnet: Betroffene sammeln einfach alles, ganz unabhängig von realen oder ideellen Werten, und schaffen es nicht, sich auch nur von einem einzigen Teil zu trennen. Die Türen lassen sich dann kaum öffnen, weil überall Tüten, Kartons oder Stapel im Weg sind; manche bewegen sich in ihren Wohnungen sogar wie in einem Labyrinth. Für ihre Angehörigen ist das Messie-Syndrom besonders belastend: Sie möchten gerne helfen, doch sie kommen an den Betroffenen nicht mehr heran. Trotzdem ist gerade hier Aufmerksamkeit nötig, weil die Symptome eines Sammelzwangs äußerlich nicht immer zu erkennen sind.
Der Begriff des „Messie-Syndroms“ ist jedoch umstritten und sollte vermieden werden, da es a) keine wissenschaftlich präzise Beschreibung gibt (keine Diagnose), b) unterschiedliche Erkrankungen zu einem „Syndrom des Durcheinanders und der Unordnung“ führen können (unter anderem Depressionen, Manien und Demenzerkrankungen), und c) dieser Begriff bereits eine Bewertung und Abwertung mit sich bringt, was der dringend notwendigen Entstigmatisierung und Akzeptanzerhöhung psychischer Störungen in der Gesellschaft entgegenwirkt.
Ich habe panische Angst davor, im Supermarkt oder auf der Straße jemanden zu schubsen oder zu treten, ohne dass ich das merken würde. Natürlich ist diese Angst völlig unbegründet, aber sie überkommt mich einfach in dem Moment, in dem ich meine Wohnung verlasse, und lässt mich verzweifeln.
Zwangsgedanken sind häufig wiederkehrende und aufdringliche Gedanken, die häufig in der Form „Was wäre, wenn …“ daherkommen. Sie sind nicht selten thematisch mit eigenen Versagenssituationen verbunden.
Zwangsgedanken haben häufig folgende thematischen Ausgestaltungen:
- hilflos und aggressiv (Vorstellung von Gewaltanwendung)
- sexuell (bis zu Vergewaltigungsfantasien, aber auch Homophobie)
- religiös konnotiert (z. B. Gottesleugnung, Selbstbezichtigungen, „Sünde“)
Da diese Gedanken zumeist nicht mit sichtbaren, sondern nur mit mentalen (geistigen oder auch kognitiven) Zwangshandlungen oder Ritualen verbunden sind und auch durch Rituale nur geringfügig abgemildert werden können, sind sie für die Betroffenen besonders quälend und wirken sich extrem störend auf ihre Lebensqualität aus.
Die Angst äußert sich dabei nicht nur durch die Gedanken, sondern wird selbst zur Angst, das Gedachte irgendwann – und wenn, dann unkontrolliert – in die Tat umsetzen zu können. Diese Angst, die im Übrigen auch Angehörige als Co-Erkrankung betreffen kann, ist vermutlich unbegründet, denn bislang wurde noch kein solcher Fall in der Literatur vermerkt.
Eine Zwangsstörung ist keine Frage des Alters. Bereits im Kindsalter kann eine Zwangsstörung entwickelt werden, und bis ins hohe Alter können diese – auch erstmals – auftreten. 65 Prozent aller Zwangsstörungen treten jedoch erstmals zwischen dem 20. und 25. Lebensjahr auf.
Ursachen Wie entstehen Zwangsstörungen?
Die Ursachen für das Auftreten von Zwangsstörungen sind noch nicht vollständig entschlüsselt. Die aktuelle neurobiologische Forschung geht jedoch davon aus, dass genetische Anlage- und Umweltfaktoren für die Entstehung von Zwangserkrankungen verantwortlich sind, wenn auch nicht zu gleichen Teilen.
Gene: Die bisherigen Ergebnisse der Familien- und Zwillingsforschung zeigen eine deutliche familiäre Häufung und legen nahe, dass Zwangserkrankungen erhebliche genetische „Ursachen“ haben. Allerdings gibt es keine eindeutigen Hinweise auf einen einfachen Erbgang (dominant/rezessiv), noch bedeutet eine Zwangserkrankung innerhalb der Familie, dass sich die Störung auch bei Nachkommen manifestiert. Allerdings erhöht sich durch eine entsprechende genetische Veranlagung die Wahrscheinlichkeit, dass eine Zwangserkrankung auftritt.
Gehirn: Zahlreiche neurobiologische Studien berichten von strukturellen und funktionellen Auffälligkeiten in bestimmten Gehirnregionen (orbitofrontaler Kortex, Striatum und anteriores Cingulum).
Weitere Faktoren: Besonders belastende Lebensereignisse in der Kindheit gelten ebenfalls als Risikofaktoren für die Entwicklung einer Zwangsstörung. Manche Experten vertreten sogar die Ansicht, dass in manchen Fällen bestimmte Infektionserreger oder eine postinfektiöse Autoimmunreaktion für die Entstehung einer Zwangsstörung verantwortlich sind, doch diese Meinung ist umstritten.
Behandlungen und Therapien Für einen offeneren Umgang mit psychischen Erkrankungen
Niemand sollte sich schämen, wegen seiner offensichtlichen Zwangsstörung professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Überdies hat es sich für diese Patientengruppe bewährt, die ihnen nahestehenden Menschen (in Einzelfällen aber auch ihre Arbeitgeber) über ihre Erkrankung zu informieren. Ein offenerer Umgang mit psychischen Erkrankungen hilft darüber hinaus, die Entstigmatisierung dieser Krankheiten in unserer Gesellschaft zu fördern.
Ich litt seit vielen Jahren unter der Vorstellung, ich könnte mich bei jeder Gelegenheit mit HIV infizieren, sodass ich mich nicht mehr traute, Menschen die Hand zu geben, fremdes Besteck anzufassen oder ohne Handschuhe aus dem Haus zu gehen. Allein hätte ich niemals aus dieser Spirale herausgefunden.
Unsere Therapien bei Zwangsstörungen
Unsere psychotherapeutische Behandlung von Zwangserkrankungen basiert vor allem auf der kognitiven Verhaltenstherapie: Dabei konfrontieren wir unsere Patientinnen und Patienten systematisch und kontrolliert mit den Reizen, die bei ihnen die jeweilige Zwangsstörung auslösen, aber wir leiten sie gleichzeitig an, die sich daraus ergebenden Rituale (Zwangshandlungen) nicht auszuführen. So möchten wir ihnen Schritt für Schritt bewusst machen, dass ihre mit der auslösenden Situation verbundenen Befürchtungen nicht eintreten und dass die für sie so unangenehmen Gefühle nachlassen, obwohl sie ihre Zwangshandlungen nicht wie gewohnt praktizieren.
In einigen Fällen hat sich die Kombination verschiedener verhaltenstherapeutischer Ansätze als Erfolg versprechend erwiesen. So können Zwangserkrankungen nicht nur mit konkreten Auslösern (Angst, Ekel oder Anspannung) verbunden sein, sondern auch zweckgerichtete Funktionen besitzen – etwa als Kompensation von starken Selbstzweifeln oder zur Regulierung der Beziehung zu nahestehenden Personen. Hier empfiehlt es sich, Angehörige oder enge Bezugspersonen des Patienten in die Therapie einzubinden, besonders dann, wenn sie Teil, Anlass oder Auslöser der Zwangsrituale sind.
Für die unterstützende Pharmakotherapie setzen wir sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer ein (kurz SSRI, wie Escitalopram, Fluoxetin, Sertralin, Paroxetin oder auch das trizyklische Antidepressivum Clomipramin). Diese Medikamente eignen sich auch zur Behandlung von Depressionen und Angststörungen. Bei schweren Zwangserkrankungen erzielen wir die besten Therapieergebnisse mit einer Kombination aus kognitiver Verhaltenstherapie und Psychopharmakotherapie mit einem SSRI.
Zwangsstörungen (oder Zwangserkrankungen) können für Angehörige und andere nahestehende Personen der Betroffenen sehr belastend sein. Denn häufig leiden sie nicht nur „mit“, sondern werden in deren zwanghafte Rituale eingebunden. Die Angehörigen sollten sich jedoch weder kommentarlos unterordnen noch gar ihren eigenen Alltag darauf ausrichten, sondern versuchen, den Betroffenen immer wieder klarzumachen, dass sie ihre Zwangserkrankung alleine nicht in den Griff bekommen und sie selbst keine professionelle Hilfe leisten können. Angehörige sollten sich zusätzlich Informationen und Rat bei Selbsthilfegruppen und Fachgesellschaften – auch im Internet – einholen.
Die Intensität der Konfrontationsübungen bei Zwangsstörungen wird schrittweise und kontrolliert gesteigert. Hierbei spielt die vertrauensvolle Beziehung zwischen Patientinnen und Patienten und ihren Therapeutinnen und Therapeuten eine entscheidende Rolle.
Studien und Forschungsberichte für Ärzte und Therapeuten
Oberberg Fachkliniken für Zwangsstörungen Unsere stationären Psychotherapien mit Mehrwert
In allen Oberberg Fachkliniken für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie unterstützen wir Menschen in schweren seelischen und psychischen Krisensituationen mit effizienten Behandlungskonzepten. Dabei glauben wir fest an das Zusammenwirken von Menschlichkeit, Verbundenheit und Evidenz in einer erstklassigen Umgebung, die von einer herzlichen Atmosphäre aus Achtsamkeit, Zugewandtheit, Respekt und gegenseitigem Vertrauen geprägt ist. Das können wir allen unseren Patienten guten Gewissens versprechen.
Die Oberberg Fachklinik Schwarzwald und die Oberberg Parkklinik Wiesbaden Schlangenbad sowie die Oberberg Fachklinik Wasserschlösschen (für Kinder und Jugendliche) haben einen besonderen Schwerpunkt in der Behandlung von Zwangsstörungen.
Ansprechpartner Wir behandeln Ihre Anfrage vertrauensvoll und diskret
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