Depression

Diabetes und Depression – eine wirklich unglückliche Verbindung | Was Betroffene und Behandler wissen sollten

Else H. ist seit 38 Jahren Diabetikerin mit einem Typ1 Diabetes. Inzwischen hat sie eine Insulinpumpe. Täglich ist sie von Ängsten geplagt. Angst vor sinkenden oder steigenden Blutzuckerspiegeln, Angst davor, irgendetwas falsch zu machen. Unruhestände kommen dazu. Lebensangst. Längst hat sie den Kampf gegen den Diabetes aufgegeben, isst nur noch einmal täglich, oft regelrechte “Fressattacken”, betreibt exzessiv stundenlang Sport, um ihre Stimmung zu regulieren. Die Depression hat ihr den Lebensmut und die Energie genommen. Seit Jahren. Ein Einzelfall?

 

“Nein”, sagt Prof. Michael Berner, Ärztlicher Direktor der Oberberg Fachklinik Rhein Jura in Bad Säckingen “Depressionen und Ängste treten bei Diabetikern deutlich häufiger als in der Normalbevölkerung auf “. Dabei blieben sie oft unerkannt oder zumindest schlecht behandelt. “Das Fatale dabei:” so der Mediziner weiter, “die Kompetenz der ärztlichen Kollegen in der Diabetes-Behandlung ist hoch. Die öffentliche Wahrnehmung: hoch. Deshalb wird mit immer ausgefeilteren Strategien der Diabetes behandelt, aber die Depression bleibt unerkannt und unbehandelt. Und deshalb wird dann der Diabetes auch nicht besser.”

Diabetes UND Depression = schlechteste Lebenserwartung

In einer 2010 erschienenen Analyse der Weltgesundheitsorganisation wurde der Gesundheitszustand von Patienten mit mehreren körperlichen chronischen Erkrankungen, die gleichzeitig an Depressionen leiden, analysiert. Die Kombination von Diabetes und Depression lieferte dabei die schlechtesten Werte für die Allgemeingesundheit, noch vor der Kombination aus Depression und chronischer Herzerkrankung. Wissenschaftlich erwiesen schwanken die Langzeitblutzuckerwerte von depressiven Diabetikern und damit die Möglichkeit von Folgeerkrankungen deutlich stärker, depressive Diabetiker können sich weniger an die rigiden Gesundheitsvorschriften des Diabetes halten und erleben stärkere körperliche Symptome des Diabetes, in letzter Konsequenz haben sie auch eine wesentlich verkürzte Lebenserwartung. Ursächlich hierfür ist unter anderem auch die Nähe und Beeinflussung beider Erkrankungen durch Stressregulationsphänomene.

Kombi aus Psychotherapie und Diabetesmedikamenten erhöht die Lebensqualität

“Statistisch gesehen versterben an den Konsequenzen nicht behandelter Depressionen bei Diabetes oder nach Herzinfarkt deutlich mehr Patienten als insgesamt durch Suizid bei Depressionen”, so Berner. Deshalb sei das Erkennen und richtige Behandeln der Depression im Rahmen der körperlichen Störung entscheidend wichtig. Mehrere Studien aus den Vereinigten Staaten zeigten, dass eine gute Depressionsbehandlung medikamentös oder psychotherapeutisch entscheidend dazu beitrug, die Zuckerkrankheit depressiver Diabetiker unter Kontrolle zu bekommen, intensive Diabetesschulungen jedoch nicht. So könne man Leben retten, zumindest jedoch wieder ganz entscheidend lebenswerter machen, sagt der Bad Säckinger Klinikchef. Im Falle von Else H. hieß das, während ihres Klinikaufenthalts das Vertrauen in die eigene Kraft zurückzugewinnen, eine antidepressive Medikation verbessern und in der Psychotherapie lernen, dass es auch bei erheblichen Lebenseinschränkungen durch die chronische Erkrankung möglich ist, bewusst und aktiv zu handeln, Probleme zu lösen, Stress zu reduzieren und mit Achtsamkeit bewältigen lernen – sich so Schritt für Schritt mehr Lebensqualität zu erarbeiten. “Das wichtigste Ziel ist, dass ich meine Sichtweise verändere. Statt: viele Dinge funktionieren nicht wegen des Diabetes, zu: ganz viele Dinge sind trotz meines Diabetes möglich – das befreit”, so das Fazit von Prof. Berner.