Ärztegesundheit – Erhöhtes Risiko für somatische und psychische Erkrankungen
Gegenüber Ärzten vergeben wir gerne das Prädikat „Halbgott in Weiß“. Aber stimmt das? Sind Ärzte wirklich so „unverwundbar“, wie es der gesellschaftliche Status des Berufsstandes impliziert? Studien belegen Gegenteiliges. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung zeigen Ärzte ein erhöhtes Risiko für Suchterkrankungen, Burn-out und Depressionen. Der gesellschaftliche Leistungsdruck ist enorm und hinterlässt Spuren. Die zentrale Frage beim Thema „Ärztegesundheit“ lautet: Wie gehen Ärzte mit einer eigenen Erkrankung um? Und wie kann ich als Betroffener der Problematik begegnen?
Spuren des gesellschaftlichen Leistungsdrucks bei Ärzten
Ein Arzt steht in seinem Beruf täglich vor einer Vielzahl an Herausforderungen. Sehr hohe Arbeitsbelastung und zunehmende Arbeitsverdichtung führen zu physischen Belastungen wie Schlafmangel oder Daueranspannung. Hinzu kommt der psychische Ballast, permanent mit dem Leid anderer Menschen konfrontiert zu sein. Dies mündet in einer Hilflosigkeit im Umgang mit diesen Problemen. Äußert sich eine Neigung zu Suchtmitteln zur Entspannung, kann es passieren, dass der Betroffene in eine Abhängigkeitserkrankung abgleitet.
Insbesondere Ärzte haben täglich Zugang zu medikamentösen Beruhigungsmitteln wie Benzodiazepine und Opiate. Hier ist der Griff ein leichter, wobei sich häufig die ersten Symptome in frei zugänglichen Suchtmitteln wie Alkohol zeigen. Aus dem Glas Wein am Abend wird beispielsweise schnell auch ein Glas Wein zum Mittagessen. Aus diesen Angewohnheiten kann sich dann nur allzu schnell eine Routine entwickeln und der Alkoholkonsum steigt an. Alkoholabhängigkeit ist mit Abstand die häufigste Suchterkrankung unter Ärzten.
Ärzte sind sich ihrer Vorbildrolle bewusst und verhalten sich im Allgemeinen gesundheitsbewusster im Vergleich zu anderen Berufsgruppen. In der Gesellschaft nehmen sie eine Schlüsselrolle in der Prävention, einschließlich der Früherkennung von Krankheiten, ein. Aus diesem Grund unterziehen sich Ärzte überdurchschnittlich regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen. Das persönliche Bewusstsein über die eigene gesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung steht somit in Kontrast zur hohen beruflichen Belastung. Stellt ein betroffener Arzt für sich die Prädisposition einer Suchterkrankung fest, so nimmt er eine Rolle ein, die er tagtäglich aus einer anderen Perspektive wahrnimmt. Er wird selbst zum Patienten.
Der Arzt als Patient
Grundsätzlich sind Ärzte keine „schlechteren“ Patienten als Menschen aus der Allgemeinbevölkerung. Die Behandlungsmotivation ist sehr hoch, und Ärzte sind es gewohnt, offen und transparent mit Erkrankungen umzugehen. Die Patientenrolle an sich gestaltet sich dennoch schwierig. Ärzte neigen in Behandlungen zu co-therapeutischen Tendenzen, einhergehend mit eigenen Expertisen und Ratschlägen. Ebenfalls unterziehen sich Ärzte im Regelfall einer Selbstdiagnostik, die lediglich durch ein informelles Gespräch mit einem Fachkollegen gestützt wird. Es fehlt ein gewisses Maß an Objektivität. Die eigene medizinische Tätigkeit vermittelt eine Sicherheit, in der sich Ärzte gerne wähnen. Das führt zu dem Phänomen, dass die wenigsten einen eigenen Hausarzt haben.
Die Fachliteratur stellt drei signifikante Barrieren für Ärzte als Patienten im Gesundheitssystem heraus:
- Spezifische Arzt-Patient-Barrieren, wie zum Beispiel Schamgefühle oder auch die Schwierigkeit, die „Patientenrolle“ anzunehmen
- Barrieren aufseiten der zu konsultierenden Einrichtung, zum Beispiel hinsichtlich Vertraulichkeit und Anonymität
- Barrieren im Medizinsystem, beispielsweise eine akzeptierte Kultur von Selbstbehandlung unter Ärzten.
Es kann aber auch die vermeintlich banale Barriere zutreffen, dass die Kollegen meist zu gleicher Zeit arbeiten und somit ein arbeitender Arzt außerhalb seiner Arbeitszeit Schwierigkeiten hat, eine andere offene Praxis zu finden.
Alles in allem ist der Arzt ein „etwas anderer Patient“, der aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit adaptierte Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten benötigt.
Hilfe und Behandlungsmöglichkeiten
Es ist unabdingbar, dass es Anlaufstellen gibt, an die sich von Sucht- oder Angsterkrankungen betroffene Ärzte wenden können. Dies geschieht leider oft nicht früh genug. Es verhält sich wie in der Allgemeinbevölkerung: Es gibt Ärzte, die in vollem Bewusstsein leben, dass sie suchtkrank sind. Andere benötigen einen Anstoß von außen. Vor allem im Hinblick auf die Gefährdung der eigenen medizinischen Approbation entwickeln Betroffene Schamgefühle und falsche Schutzmechanismen.
Der Schwerpunkt der Oberbergkliniken liegt auf psychischen Störungen und Suchterkrankungen. Neben speziell zugeschnittenen Therapien wird umfassende Sorgfalt und selbstverständlich Anonymität garantiert. In Bezug auf die Approbation gilt das Prinzip, „Hilfe statt Strafe“. Exklusiv für Ärzte, deren Approbation aufgrund ihrer Suchterkrankung in Gefahr ist, bieten die Oberbergkliniken ein Curriculum im Rahmen der Interventionsprogramme der Landesärztekammern an. Die Kammern helfen streng vertraulich und sichern bei Therapiewilligkeit und kooperativem Verhalten zu, personenbezogene Daten nicht an Dritte weiterzugeben. Außerdem unterstützen sie Betroffene bei der Organisation einer Praxisvertretung sowie bei der Klärung der Kostenübernahme. Dafür schließen die Kammern und der Betroffene nach der stationären Entwöhnungstherapie eine „verbindliche Therapievereinbarung“. Über einen gewissen Zeitraum (meist ein Jahr) wird eine ambulante Therapie mit regelmäßigen Laborkontrollen und dem Besuch einer Selbsthilfegruppe fortgeführt. Disziplinarische Maßnahmen oder, im schlimmsten Fall, der Entzug der Approbation erfolgen bei fehlender Kooperation oder mangelnder Motivation. Somit hat der Arzt die Möglichkeit, seinen Beruf auch zukünftig auszuüben.
Die eigene Gesundheit als Frühwarnsystem
Gerade ärztliche Krankheitsverhaltensweisen wirken sich auf die Behandlung von Erkrankten aus. Deshalb ist besonders die Gesundheit von Ärzten von großer gesellschaftlicher Bedeutung, um eine fundierte Qualität in der Patientenversorgung gewährleisten zu können. Im schlimmsten Fall erfahren Patienten durch ärztliches, gesundheitsbezogenes Fehlverhalten eine unangemessene medizinische Versorgung. Ärzte benötigen auf sie zugeschnittene Behandlungsmöglichkeiten. Die Etablierung struktureller Angebote, wie zum Beispiel Spezialsprechstunden, und eine weitere Sensibilisierung für das Thema, die bereits im Medizinstudium beginnt, können zu einer besseren Gesundheit von Ärzten beitragen. Darauf spezialisierte Kliniken bieten professionelle Hilfe an. Das Fundament bleibt jedoch für jeden Arzt der Umgang mit der eigenen Gesundheit, die Reflexion des eigenen Verhaltens im Krankheitsfall und die Pflicht, adäquat für sich selbst zu sorgen. Davon profitieren er und seine Patienten.
Weiterführende Informationen & Quellen
- https://www.oberbergkliniken.de/artikel/resilienz-im-arztberuf-studie-der-universitaet-heidelberg
- https://www.aerzteblatt.de/archiv/139428/Suchterkrankungen-bei-Aerzten-Sanktionieren-und-Helfen-sind-kein-Widerspruch
- http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/medizin-die-depressiven-jungen-aerzte-1.3282312
- https://www.uniklinikum-jena.de/allgemeinmedizin_media/Paper/2014_Schulz_ZFA.pdf