Zieloffene Suchttherapie
Vom Abstinenzparadigma zu individualisierten, am Patienten orientierten Therapiezielen
Dauerhafte, lebenslange Abstinenz ist ein zentrales Ziel in der Therapie von Suchterkrankungen, insbesondere bei Alkoholabhängigkeit. Entwöhnungsbehandlungen sind heute in Deutschland gut etabliert und erfolgreich. Die Erfolgsraten von Behandlungen zur Entwöhnung von der Sucht in den Oberberg Fachkliniken liegen bei der Einjahreskatamnese bei ca. 80 %. Weitere Informationen finden Sie im Qualitätsbericht.
Das Abstinenzparadigma als Hürde auf dem Weg in die Therapie
Trotz der guten Erfolge von Behandlungen zur Entwöhnung und des flächendeckenden bundesweiten Therapieangebotes bei Sucht werden nur ca. 15% der Abhängigen mit dieser Therapieform erreicht. Für Suchtkranke stellt das Abstinenzparadigma eine hohe Hürde dar: Aus Angst vor dem Entzug werden Entwöhnungsbehandlungen häufig abgelehnt. Da der erste Schritt schon übergroß erscheint, wird gar nicht erst der Versuch gewagt, vom Alkohol bzw. anderen Suchtmitteln wegzukommen.
Weiterhin kann das Ziel einer dauerhaften Abstinenz von Alkohol und anderen Substanzen im längerfristigen Verlauf auch bei mehrmaligen Entwöhnungsbehandlungen trotz hoher Motivation von Patienten nicht immer erreicht werden, sodass alternative Behandlungsziele im Interesse dieser Gruppe von Patienten erforderlich sind. Wenn das Ziel der dauerhaften Abstinenz zu hoch ist: Eventuell lässt sich ja der Schaden durch die suchtauslösenden Substanzen wenigstens eindämmen bzw. minimieren.
Zieloffene Suchttherapie setzt realistische Ziele
Das Prinzip zieloffener Suchttherapie erweitert das vom Suchthilfesystem vorgegebene Abstinenzparadigma um individualisierte Angebote zur Trinkmengenreduktion. Die Wirksamkeit der zieloffenen Suchttherapie konnte in mehreren Studien nachgewiesen werden. Gemeinsam mit den Patienten werden anhand der individuellen Biografie und aktuellen Situation realistische und umsetzbare Therapieziele weg vom Alkohol erarbeitet. Den Abhängigen fällt es so deutlich leichter, sich auf die Entwöhnungstherapie einzulassen.
Zielvorstellungen und Wünsche der betroffenen Patienten stehen im Mittelpunkt. Erstmals in der Geschichte der Suchttherapie besteht für Patienten und Therapeuten Wahlfreiheit bei der Behandlung der Sucht. Insbesondere für Patienten in frühen Stadien einer Suchtentwicklung ergeben sich dadurch neue Therapieoptionen. Durch das Abstinenzparadigma aufgebaute Hürden werden abgebaut. Patienten, die das Abstinenzziel nicht oder noch nicht akzeptieren, können über neue innovative Therapieangebote in das Suchthilfesystem integriert werden und möglicherweise eher eine Behandlung annehmen. Für Patienten nach einer Entwöhnungsbehandlung, die trotz Motivation und adäquater therapeutischer Intervention das Abstinenzziel nicht erreichen, stellt ein reduzierter Konsum von Alkohol bzw. anderen Suchtmitteln im Sinne der „Schadensminderung“ eine zusätzliche ernstzunehmende Option in der Behandlung ihrer Suchterkrankung dar.
Stationäre Entwöhnung folgt weiter dem Abstinenzprinzip
Kritisch zu hinterfragen ist allerdings, inwiefern eine Integration zieloffener Therapie von Suchterkrankungen in das bisherige abstinenzorientierte Suchthilfesystem möglich ist. Gerade bei einer stationären Entwöhnungsbehandlung ist kaum vorstellbar, in den entsprechenden Einrichtungen mit dem Ziel der Abstinenz Programme zur Trinkmengenreduktion zu integrieren, die den Konsum von Alkohol oder anderen Suchtmitteln einschließen bzw. zulassen. Daher werden Angebote zieloffener Suchttherapie primär im ambulanten Suchthilfesystem umgesetzt. Für die Oberberg Fachkliniken bleibt bei der stationären Entwöhnungsbehandlung das Abstinenzziel weiterhin die primäre Therapieoption. Ergänzt wird das Angebot durch Ansätze der zieloffenen Suchttherapie in den Tageseinrichtungen.
Oberberg Fachkliniken bieten zieloffene Suchttherapie
Da die Oberberg Fachkliniken an innovativen Weiterentwicklungen der Therapie von Suchterkrankungen interessiert sind, werden beispielsweise in der ambulanten Oberberg Tagesklinik Kurfürstendamm Berlin ab Anfang März zieloffene Suchttherapieangebote unter der Leitung von Prof. Dr. Götz Mundle vorgehalten. Nach einer diagnostischen Abklärung werden gemeinsam mit dem Patienten Schritte und Ziele der Therapie vereinbart. Dieses Angebot richtet sich in erster Linie an Patienten, die am Beginn einer Suchterkrankung stehen. Für schwer abhängige Patienten, insbesondere mit körperlichen Folgeerscheinungen und Entzugssymptomen, ist eine abstinenzorientierte Entwöhnungsbehandlung in einer der stationären Oberberg Fachkliniken weiterhin primäres Therapieziel.
Prof. Dr. Falk Kiefer, ärztlicher Direktor der Klinik für abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit hat am 20.02.2015 bei der Eröffnungsveranstaltung der Oberberg Tagesklinik Kurfürstendamm Berlin im Rahmen seines Vortrages „Zieloffene Suchttherapie – vom Abstinenzparadigma zu individualisierten, am Patienten orientierten Therapiezielen“ die Grundzüge und Konzeption einer zieloffenen Suchttherapie im ambulanten Bereich vorgestellt.
Wenn Sie Fragen zu unserem Therapieangebot haben, wenden Sie sich gerne jederzeit an uns!
Literatur
- Adamson, S. J., Heather, N., Morton, V., & Raistrick, D. (2010). Initial preference for drinking goal in the treatment of alcohol problems: II. Treatment outcomes. Alcohol and alcoholism, 45(2), 136-142.
- Heather, N., Adamson, S. J., Raistrick, D., & Slegg, G. P. (2010). Initial preference for drinking goal in the treatment of alcohol problems: I. Baseline differences between abstinence and non-abstinence groups. Alcohol and alcoholism, 45 (2), 128-135.
- Körkel, J. (2014). Alkoholtherapie: Vom starren Abstinenzdogma zu einer patientengerechten Zielbestimmung. Suchtmed 16 (5) 211-222
- Mann, K., Körkel, J. (2013). Trinkmengenreduktion: ein ergänzendes Therapieziel bei Alkoholabhängigen. PPT 20 (5), 193-198.
- Mundle, G., Aldenhoff, J. (2013). Offene Fragen an ein modernes Suchthilfesystem. PPT 20 (5), 225-230.
- Vaillant, G. E. (1996). A long-term follow-up of male alcohol abuse. Archives of General Psychiatry, 53(3), 243-249.