Psychische Gewalt am Arbeitsplatz: Wie Mobbing und Bossing zu Ängsten und Depressionen führen können
Es beginnt meist harmlos und schleichend. Zunächst oftmals unbemerkt. Die Kollegen brechen früher als gewöhnlich zum Mittagessen auf, ohne Bescheid zu geben. Entscheidende Informationen werden nicht weitergereicht, Kopien nicht vollständig ausgeteilt. Gespräche verstummen, sobald man den Raum betritt. Erste Gerüchte tauchen auf. Mobbing kann sich auf vielen Ebenen, in kleinen und auch größeren Gesten äußern und umfasst im Grunde sämtliche Aspekte bewusst ausgeübten Psychoterrors mit dem Ziel, eine bestimmte Person aus dem bisherigen Gruppengefüge auszugrenzen. Mobbing am Arbeitsplatz ist besonders häufig. Betroffene leiden in der Folge nicht selten an Angstzuständen und Depressionen. Gibt es Auswege aus der Mobbingfalle? Wie können Betroffene sich zur Wehr setzen?
Was versteht man unter Mobbing und Bossing?
Bei Mobbing am Arbeitsplatz wird zwischen den beiden Formen Mobbing und Bossing unterschieden. Bossing meint in diesem Zusammenhang das schikanierende Verhalten seitens Vorgesetzter und Führungskräfte, Mobbing dasjenige von gleich gestellten Kollegen oder Mitarbeitern unterer Rangfolge, weshalb es gelegentlich analog zu Bossing auch als „Staffing“ bezeichnet wird. Auch eine Kombination beider Varianten ist möglich. Sowohl für Mobbing als auch Bossing gibt es meist keine rationalen Beweggründe. Für gewöhnlich bilden emotionale Motive den Auslöser. Bei Führungskräften ist es oft der Wunsch, die eigene Macht, das eigene Ansehen im Unternehmen zu demonstrieren, um damit einen Mangel an Kompetenz und Souveränität zu kaschieren. Auch die Angst vor einem potenziellen „Thronerben“, der die eigene Stellung gefährden könnte, nährt die Motivation, Mitarbeiter zu drangsalieren. Typische Beispiele von Bossing sind falsche Beschuldigungen (z. B. in der Informationsweitergabe) oder übermäßiges Kritisieren von kleineren Fehlern des Mitarbeiters (Stichwort: Bloßstellen vor der Belegschaft), langes Warten lassen trotz fester Terminzusage, keine verbindlichen, schriftlichen Aussagen und gleichzeitiges Abwälzen von Verantwortung in Sachverhalten, für die der Mitarbeiter dann gradezustehen hat. Mobbing (bzw. Staffing) ist hingegen in der überwiegenden Anzahl der Fälle keine Tat eines Einzelnen, sondern äußert sich als wiederholtes Verhalten einer Gruppe gegenüber dem Betroffenen. Die Ausprägungen sind vielfältiger Natur. Der schwedische Arbeitspsychologe Heinz Leymann entwickelte in diesem Zusammenhang den LIPT-Fragebogen (= Leymann Inventory of Psychological Terror), der insgesamt 45 verschiedene Mobbinghandlungen nach bestimmten Kategorien listet. Heymann unterscheidet demnach zwischen Angriffen auf die Kommunikation (z. B. jemanden unterbrechen oder anschreien), auf soziale Beziehungen (z. B. Gespräche untersagen), auf die Qualität der Arbeit (z. B. übermäßige Kritik, gezieltes Überfordern), auf das soziale Ansehen (z. B. Intrigen und Gerüchte in Gang bringen) sowie Angriffe auf das körperliche und psychische Wohlbefinden (z. B. sexuelle Belästigung, Beleidigungen etc.).
Folgen von Mobbing und Bossing
Man kann sich leicht vorstellen, dass wiederholtes Drangsalieren und Schikanieren eines Einzelnen seitens einer Gruppe oder eines Vorgesetzten Spuren bei dem Betroffenen hinterlässt. Aufgrund des Arbeitsverhältnisses sind Täter und Mobbingopfer eng miteinander verbunden, ein Ignorieren der Situation ist in der Regel nicht möglich. Systematisches Mobbing untergräbt – in beiden Varianten – die Autorität und Selbstachtung des Betroffenen. Die direkte Auswirkung ist emotionaler Stress, in dessen Folge eine teuflische Abwärtsspirale in Gang geraten kann: Beginnend bei der kompletten Demotivation, der Arbeit nachzugehen, über die sinkende Leistungsfähigkeit und damit einhergehende Fehler, die wiederum erneuten Anlass und Zündstoff für weitere Mobbingattacken abgeben. Es kommt zu Verweigerung und Krankschreibung, und letztlich meist zur Kündigung oder zur Versetzung an einen anderen Arbeitsplatz. Selbstzweifel, Ängste und Depressionen sind keine seltenen Folgeerscheinungen, die in der Folge einer therapeutischen Hilfe bedürfen.
Therapeutische Unterstützung: Was hilft?
Wenngleich Mobbing keine eigenständige Diagnose ist, gibt es doch gezielte Therapiemöglichkeiten für Mobbingopfer. Bewährt hat sich der Forschung nach eine Therapie, die folgende vier Phasen umfasst: Distanz, Verstehen, Entscheiden, Handeln. In Phase 1 lernen Betroffene, sich von der eigentlichen Belastungssituation zu lösen und das Geschehen zu entpersonalisieren. Die Erkenntnis, dass Mobbing jeden treffen kann und es oftmals eine Verkettung unglücklicher Umstände ist, die einen in diese Lage gebracht hat, hilft, den Blick von der inneren, persönlichen Sicht nach außen zu verlagern. In Phase 2 geht es um das Verstehen der Situation: Wieso kann so etwas ausgerechnet in diesem Unternehmen passieren? Was ist die Motivation der Täter? Was habe ich zum Entstehen beigetragen? Dieses individuelle Störungsmodell ist die Voraussetzung für die Definition der Therapieziele. Phase 3 widmet sich der beruflichen Zukunft des Betroffenen und spielt die unterschiedlichen Möglichkeiten (Rückkehr, Versetzen, Ausscheiden aus dem Unternehmen) durch. In Phase 4 werden Bewältigungsstrategien vermittelt, um die Selbstsicherheit und die persönlichen Ressourcen weiter zu festigen.
Rechtliches: Was man gegen Mobbing und Bossing tun kann
Als Mobbingopfer ist man nicht wehrlos. Sowohl auf arbeitsrechtlicher als auch persönlicher Ebene können Betroffene einiges tun, um sich gegen Mobbingattacken zu behaupten.
Wer Mobbing- oder Bossingtendenzen beobachtet, tut gut daran, ein erstes offensives Gespräch mit den Beteiligten zu suchen, um Konflikte noch im Keim zu ersticken. Proaktives Handeln ist passivem Erdulden in jedem Fall vorzuziehen. Wer bereits in den Mobbingstrudel hineingeraten ist, kann versuchen, Unterstützung im Kollegenkreis oder bei Vorgesetzten zu finden. Auch professionelle rechtliche Hilfe ist ratsam. Gehen die Schikanen vom Chef aus, sollten Betroffene die Vorfälle dokumentieren, selbst Ruhe bewahren und sich auf keine Psychospielchen einlassen. Personal- oder Betriebsrat sind erste Ansprechpartner im Unternehmen, sollte sich der Konflikt nicht beilegen lassen. Auch ein Gespräch mit der Unternehmensleitung ist im Nachgang eine weitere Möglichkeit. Externe Hilfe ist dann gefragt, wenn alle innerbetrieblichen Lösungsansätze nicht den gewünschten Erfolg zeigen. Für eine Klage vor Gericht müssen in jedem Fall genügend stichhaltige Beweise vorliegen und Zeugen zu benennen sein. Mobbing ist alles andere als ein Kavaliersdelikt, das man nicht stillschweigend auszusitzen hat. Betroffene sollten daher auch die vermeintlich letzte Möglichkeit einer Kündigung in Betracht ziehen. Ein „Orts- und Luftwechsel“ wirkt sich in der Regel befreiend auf das gesamte Wohlbefinden aus. Und bekanntlich liegt ja „jedem Anfang ein Zauber inne“.