Depression

Du bist genug – warum es sich lohnt, seinen Selbstwert zu stärken

Matthias B. ist 42 Jahre alt und Abteilungsleiter in einem großen Unternehmen. Er ist ein intelligenter, sprachgewandter und attraktiver Mann, bei dem sich niemand vorstellen kann, dass er sich in seiner Position überfordert fühlt – er wirkt doch so kompetent. Mit der Zeit verändert sich das soziale Klima in der Abteilung, die Mitarbeiter untereinander geraten immer öfter in Auseinandersetzung. Doch Matthias gelingt es nicht, bei den Konflikten als Vermittler einzugreifen, er weiß nicht wie er handeln soll. Ihm ist zwar bewusst, dass die Konflikte seiner Kollegen hinderlich für das Arbeitsklima sind, doch er fühlt sich nicht kompetent genug zu handeln, weiß nicht weiter. Nach einiger Zeit spürt seine Abteilung Matthias‘ Führungsschwäche und sie nehmen ihn immer weniger ernst, er verliert nach und nach an Achtung…

Geringer Selbstwert – kein Einzelfall

Matthias‘ Beispiel ist kein seltener Fall, viele Menschen verfügen über einen geringen Selbstwert. Dieser ist definiert als derjenige Wert, den eine Person sich selbst zuschreibt, also wie sie sich subjektiv bewertet. Es konnte gezeigt werden, dass diejenigen im Allgemeinen am besten abschneiden, die sich weder unter-, noch überschätzen – also genau richtig einschätzen. Bei der Selbstbewertung können verschiedene Lebensbereiche betroffen sein, die dabei eine Rolle spielen. Die Diplom-Psychologin Potreck-Rose vergleicht diese mit unterschiedlichen Schubladen: Die Schublade mit Familie und Freundeskreis, eine andere mit Leistung im Beruf, wiederum eine andere mit Eigenschaften und Fähigkeiten, Aussehen, Tugenden, spirituellen Werten oder aber politischem/sozialem Engagement. Es ist von hoher Relevanz, welche Schubladen wie häufig geöffnet werden. Es kann zum Beispiel sein, dass eine Person mit seiner Familie und Freundeskreis zufrieden ist, mit den Tätigkeiten und Leistungen, die er an der Arbeit vollbringt aber nicht. In dem Fall wäre es für den Selbstwert hinderlich, wenn er die berufliche Schublade häufiger öffnet als die Schublade, in denen sich seine Assoziationen mit Familie und Freunden befinden.

 

Mädchen und Frauen beispielsweise ist die Schublade bezüglich der sozialen Beziehungen am wichtigsten, während Jungen und Männern ihre eigenen Fähigkeiten und Leistungen am bedeutendsten sind.

Selbstwert-Training bei Depressionen

In unserer täglichen Therapiearbeit mit den Patienten setzen wir  Selbstwert-Training gerade bei  mittelschweren bis schweren Depressionen erfolgreich ein. Diese Therapieform zur Behandlung von Selbstwert- und Stimmungsproblemen macht die eigenen Ressourcen bewusster und aktiviert zudem die Ressourcen des sozialen Umfeldes (z.B. Familie, Freunde). Neben der Förderung bereits vorhandener Ressourcen stehen das Überprüfen und Vermindern von überzogenen negativen Gedanken im Vordergrund der Therapie.  Ziel der Therapie ist u. a. die Steigerung des Selbstwertgefühls und die Stabilisierung der Stimmung.

Die vier Säulen des Selbstwerts: Selbstvertrauen, Selbstakzeptanz, soziales Netz und soziale Kompetenz

Der Selbstwert setzt sich laut Potreck-Rose und Jacob aus insgesamt vier Säulen zusammen, die wir Ihnen hier auf diesem Blog vorstellen möchten (Potreck-Rose, Friedericke & Jacob, Gitta. (2005). Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen. Klett-Cotta, Stuttgart).

Direkt dazu bieten wir Ihnen weiterführende Anregungen und Hinweise an, wie Sie diese Säulen stärken können.

Die Säule der Selbstakzeptanz

Eine Person, die sich selbst akzeptiert, hat eine positive Einstellung zu sich selbst. Doch tief in uns drin wohnt ein innerer Kritiker, der ziemlich frustrierend sein kann. Ständig weiß er, was man hätte besser machen sollen, nie ist er zufrieden und ihm kann man es nur selten recht machen. Dieses innere System behindert uns, der Mensch zu werden, der wir eigentlich sein könnten. Im schlimmsten Fall führen uns diese Selbstzweifel in eine schwere Krise bis hin zur Depression.

Der innere Kritiker 

Dieser Kritiker entwickelt sich bereits in der Kindheit und hängt unter anderem auch davon ab, wie viel Liebe und Anerkennung wir durch die Eltern oder andere Bezugsperson erfahren durften. Die Zuwendung der Eltern ist genauso essentiell für die Persönlichkeitsentwicklung wie eine ausgewogene Ernährung für den Körper. Manchmal stellen Eltern an ihre Kinder – oft ganz ungewollt – zu hohe Anforderungen, die diese gar nicht erfüllen können. Die Messlatte liegt dann zu hoch, die Kinder können die Wünsche der Eltern gar nicht erfüllen. Diese zu hohen Anforderungen nehmen manche Menschen mit in ihr weiteres Leben und legen sich auch selbst ihre eigene Messlatte dauerhaft zu hoch. Wenn es keine Möglichkeit gibt, den Sprung über diese Messlatte zu schaffen, das Ziel nicht zu erreichen, dann ist es schwierig, uns selbst zu akzeptieren und demnach leidet unser Selbstwert enorm darunter. Unsere Aufgabe ist es nun also zu lernen, dass in manchen Belangen die Ansprüche unseres inneren Kritikers zu hoch sind und dass wir diese kaum erreichen können. Entweder akzeptieren wir, dass die Messlatte zu hoch ist oder wir legen diese tiefer, reduzieren unsere Ansprüche und erhalten die Chance, unseren eigenen Ansprüchen wieder genügen zu können. Als Beispiel sei hier die Tatsache zu nennen, dass eine Person anstelle von einem sehr guten Abschluss auch mit einem guten Abschluss zufrieden sein kann, anstelle eines sehr guten Einkommens auch mit einem guten Einkommen etc.

Was Sie tun können…

  1. Widersprechen Sie Ihrem Kritiker – Wenn Ihr innerer Kritiker mal wieder alles besser weiß und Ihnen das Gefühl gibt, Sie machen mal wieder alles falsch, dann geben Sie Widerworte. Entweder Sie verbieten Ihm den Mund oder schneiden Ihm das Wort ganz ab – aber lassen Sie sich das nicht gefallen!
  2. Was haben meine Eltern früher immer gesagt? – Um Ihren inneren Kritiker verstehen zu können, sollten Sie sich überlegen, welche Erziehungssätze Sie von Ihren Eltern immer zu hören bekommen haben. Welche Relevanz, welchen Stellenwert geben Sie diesen Sätzen noch heute in Ihrem Leben? Ist dieser Stellenwert berechtigt?

Und das möchten wir Ihnen abschließend noch mit auf den Weg geben:

Fühlen Sie sich in sich selbst zuhause. Nehmen Sie sich selbst an und seien Sie nicht so kritisch mit sich selbst. Gesunder Ehrgeiz kann förderlich sein, doch wenn dieser zu ungesund ist und Sie sich selbst nicht mehr akzeptieren können, dann überdenken Sie Ihre Messlatte und setzen diese etwas runter. Mit dieser inneren Haltung entwickeln Sie eine gesunde Resilienz gegenüber psychischen Erkrankungen wie der Depression.

Die Säule des Selbstvertrauens

Die Säule, die jetzt im Vordergrund steht, ist die Säule des Selbstvertrauens. Dabei geht es darum, eine positive Einstellung zu den eigenen Fähigkeiten und Leistungen zu erhalten und somit den Selbstwert zu verbessern.

Die guten Geister, die das Selbstvertrauen stärken

Häufig benötigen wir aber manche guten Geister, die uns darauf zurückbesinnen, was wir in der Woche bereits geschafft haben und was wir besonders gut können. Diese guten Geister, vielleicht die beste Freundin, der beste Freund, meinen es wohlwollend mit uns, zeigen, dass wir auf uns selbst vertrauen können. Dieses Wohlwollen müssen wir auch für uns selbst aufbringen können. Wir sollten uns selbst jenen liebevollen Blick schenken, den wir sonst von unserer Freundin empfangen. Wenn Sie Ihre guten positiven Seiten in den Vordergrund rücken, diese wertschätzen, dann haben Sie umso mehr Chancen, Ihren Selbstwert wachsen zu lassen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Personen, die in sich selbst und ihre Fähigkeiten vertrauen, in Prüfungen besser abschneiden als solche, die nur wenig Selbstvertrauen haben.

Was Sie tun können…

  1. Der wohlwollende Begleiter  –  Suchen Sie sich einen wohlwollenden Begleiter. Stellen Sie sich vor, Ihre anerkennende Seite wäre eine Figur, die Sie auf dem Weg zu größerem Selbstvertrauen unterstützt. Sie können für diesen wohlwollenden Begleiter eine symbolische Figur wählen, z.B. ein Stofftier, das Sie gerne mögen oder einen Held Ihres Alltags. Immer, wenn Sie an Ihren Fähigkeiten und Leistungen zweifeln, dann hören Sie auf die Stimme Ihres Weggefährten – was hat Ihnen dieser zu sagen? Hören Sie genau hin! Und wenn Ihnen nichts einfällt, Sie sich unaufhörlich selbst kritisieren, dann stellen Sie sich vor, dieser Weggefährte sagt zu Ihnen: „Komm raus aus deinem Hamsterrad der Selbstentwertung. Du hast genügend Erfahrungen und Kenntnisse, um den ersten Schritt zu gehen. Vertraue dir selbst, du kannst es schaffen!“ Er kann auch sagen: „Schau mal, du hast diese Woche schon die Wäsche gebügelt, die so lange fällig war!“, „Wie schön hast du heute nur den Tisch gedeckt!“, „Super, du hast diesen unheimlich stressigen Arbeitstaghinter dich gebracht, ohne einen größeren Fehler. Und das, obwohl so viel los war! Jetzt kannst du dir noch etwas gönnen!“
  2. Mutsätze  –  Welche Sätze machen Ihnen besonders Mut? Welche Sätze hören Sie gerne, um wieder Zuversicht und gute Laune zu finden? Schreiben Sie Ihre persönlichen Mutsätze auf ein Blatt Papier und tragen Sie diese bei sich und holen Sie sie raus, wenn Sie an sich zweifeln, wenn Sie z.B. denken, dass Sie das Telefonat nicht schaffen, dem Chef nicht widersprechen oder den Kollegen nicht Nein sagen können! Ihre Mutsätze könnten folgendermaßen aussehen: „Das kannst du gut genug!“, „Jeder kleine Schritt zählt!“, „Dieser Anforderung bist du gewachsen!“, „Vertraue dir, du machst das!“ etc.

Und das möchten wir Ihnen abschließend noch mit auf den Weg geben…

„Das geht bestimmt schief, ich kann das nicht, das schaffe ich nie und nimmer“ – Verbannen Sie solche Sätze aus Ihrem Kopf. Sie haben von nun an einen neuen wohlwollenden Weggefährten, der Ihnen mithilfe Ihrer Mutsätze immer gut zureden weiß.

Die Säule des sozialen Netzes

Nach der „Säule der Selbstakzeptanz" und der „Säule des Selbstvertrauens" thematisieren wir nun die „Säule des sozialen Netzes". Diese beschreibt befriedigende Partnerschaften, berufliche Beziehungen sowie die emotionale Anerkennung anderer.

Uns Menschen gelingt das Miteinander leichter und wir schätzen uns selbst mehr wert, wenn wir von anderen Menschen das Gefühl erhalten, dass wir für sie wichtig sind. Wenn uns unsere Freunde, unsere Familie oder unsere Kollegen – sei es auch nur indirekt – vermitteln, dass wir für sie unabdingbar sind, dass wir ihr Leben bereichern und dass wir einen wichtigen Stellenwert bei ihnen innehaben, dann fällt es uns auch leichter, uns selbst anzunehmen. Darum ist es wichtig, dass wir die Partnerschaft, die wir haben, pflegen, damit diese befriedigend wirkt. Auch um die Freunde, die wir haben, sollten wir uns regelmäßig kümmern, damit sie ein fester und kontinuierlicher Bestandteil in unserem Leben sind. Genauso wichtig ist es, dass wir berufliche Beziehungen pflegen, denn Teamarbeit kann sehr viel bringen und außerdem ist es äußerst wichtig, dass wir die die acht Stunden, die wir am Tag an der Arbeit verbringen, in einem positiven Arbeitsklima verweilen.

Was Sie tun können…

  1. Wann haben Sie Ihrem Partner das letzte Mal gesagt, was Sie an ihm besonders mögen, welche Eigenschaften Sie schätzen und wieso Sie sich jeden Morgen aufs Neue darauf freuen, dass Sie solch einen tollen Partner gefunden haben? Auch Sie würden sich über solche Komplimente freuen. Also nehmen Sie sich vor, dass Sie 5 Mal mehr loben als kritisieren, denn dadurch stärken Sie ihre Partnerschaft.
  2. Wann waren Sie das letzte Mal mit Freunden Essen oder haben mal wieder lange mit ihnen gequatscht? Nehmen Sie sich Zeit – blocken Sie in der Woche einen Abend, der nur für Sie und Ihre Freunde bestimmt ist. Die gemeinsame Zeit kann Ihnen anschließend niemand nehmen.

Und das möchten wir Ihnen abschließend noch mit auf den Weg geben…

Es ist wichtig, dass wir Menschen uns in einem sozialen Netz befinden. Alles, was wir unseren Freunden, unserer Familie, unserem Partner geben, kommt zurück. Das, was wir ausstrahlen, kehrt wieder. Deshalb seien Sie für Ihre Liebsten da, wenn Sie gebraucht werden – Es kommen sicherlich auch wieder Zeiten, in denen Sie diese Stärkung genauso benötigen. Hilfestellungen für die richtige Pflege des sozialen Netzes können Ihnen auch die Oberberg Kliniken geben: Unser Behandlungskonzept.

Die Säule der sozialen Kompetenz

Nun widmen wir uns der letzten Säule: die Säule der sozialen Kompetenz. Diese Säule steht dafür, dass eine Person Kontaktfähigkeit erlebt.

Wenn ein Mensch erfährt, dass der Kontakt, den er zu anderen Menschen aufnimmt, gelingt, dann erlebt er Kontaktfähigkeit und kann sich daran erfreuen. Es ist wichtig, dass ein Mensch über das Wissen verfügt, wie er mit anderen Personen umgeht. Dabei spielt Respekt, Achtung aber auch ein gewisser Anteil an Empathievermögen eine wichtige Rolle. Da manche Beziehungen weiter in die Tiefe gehen als andere, ist es von Vorteil, wenn eine Person Nähe und Distanz regulieren kann. Merke ich, dass ich vulnerabel bin und mein Gegenüber das leicht ausnutzt, dann sollte ich auf Distanz gehen. Wenn ich aber der anderen Person vertrauen kann und das Gefühl habe, dass ich mich ihr hingeben kann, dann ist es wiederum auch wichtig, Nähe zulassen zu können.

Was Sie tun können…

Versetzen Sie sich bei der nächsten Auseinandersetzung in die Lage der anderen Person. Was könnte diese gerade denken und wieso handelt sie gerade so? Empathievermögen ist unerlässlich, wenn Kontakt zu einer Person aufgebaut werden soll. Deshalb gilt besonders in Konfliktsituationen: Halten Sie kurz inne – warum vertritt mein Gegenüber diese Meinung? Und wie kann ich ihn in seiner Situation, sei es auch nur ansatzweise, verstehen?

Und das möchten wir Ihnen abschließend noch mit auf den Weg geben…

Sie haben jetzt viel über die verschiedenen Säulen des Selbstwerts gelernt. Dabei wurden Ihnen auch unterschiedliche Möglichkeiten an die Hand gegeben, wie Sie diese Säulen stärken können. Rufen Sie sich immer wieder ins Gedächtnis, dass es an Ihnen liegt, welche Schublade Sie wie häufig öffnen. Falls Sie vergessen sollten, wieso sie so ein toller Mensch sind, dann schreiben Sie sich doch abends auf, was Sie am Tag alles Tolles geleistet haben. Gehen Sie mental doch mal Ihren Freundeskreis einmal durch – gar nicht mal so wenig, was? Also: Sie können stolz  auf sich sein und deshalb die Schubladen, die voller Selbstachtung, Lebensfreude und Fröhlichkeit sind, ruhig mal öfter öffnen!