Placebo und Nocebo – wie Erwartung unsere Gesundheit beeinflusst
Seit Jahren wird an der besten Möglichkeit, Placebos in die Behandlung von psychischen Krankheiten einzubauen, geforscht. Der Placebo-Effekt gilt seit einigen Jahren als wissenschaftlich belegt. Allerdings ist immer noch nicht vollständig geklärt, wie genau die Mechanismen hinter dem Placebo-Effekt funktionieren und wie dieser am besten im klinischen Alltag zu verwenden ist. Neue Untersuchungen offenbaren neue Wege, um mit Placebos umzugehen.
Ethisch korrekter Umgang mit Placebos
Bis jetzt ist man davon ausgegangen, dass es für die effektive Verwendung von Placebos nötig ist, den Patienten gegenüber zu verschleiern, dass es sich bei den Medikamenten, die sie erhalten, um Placebos handelt (Closed-label Placebo). Diese Annahme hat die Verwendung von Placebos im Klinikbetrieb vor eine Reihe an ethischen und rechtlichen Hürden gestellt. Neue Studien haben allerdings die Effektivität vom offenen Umgang mit Patienten in der Behandlung mit Placebos nachweisen können . So wurden Patienten in einer Studie mit chronischen Rückenschmerzen zusätzlich zu ihrer regulären Behandlung, entweder offen mit einem Placebo (Pillen) behandelt oder erhielten keine weitere Behandlung. Hierbei konnte eine erhebliche Reduktion der Schmerzsymptomatik in der Placebo-Patientengruppe gezeigt werden, im Vergleich zu der Kontrollgruppe.
Den offenen und ehrlichen Einsatz von Placebos in der Behandlung nennt man auch Open-label-Placebos (OLP). Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Behandlung durch OLPs ähnlich positive Ergebnisse erzielen wie herkömmliche Behandlungen mit Medikamenten. Insbesondere bei neuropsychiatrischen Erkrankungen, Schmerzerkrankungen und Depressionen hat die Behandlung durch Open-label-Placebos (OLPs) zu einer erheblichen Linderung der Beschwerden führt.
Die Behandlung durch Open-label-Placebos (OLPs) beeinflusst vor allem subjektive Beschwerden wie Schmerzen oder Depressivität. Auch in der Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen sehen Forscher Potential für Open-label-Placebos (OLPs). Auch die Integration von Open-label-Placebos (OLPs) in die Behandlung von chronischen Schmerzen könnte zum Beispiel Patienten vor unerwünschten Nebeneffekten der Arzneimittelbehandlung schützen.
Placebos so effektiv wie Arzneimittel
Antidepressiva sind für die Behandlung von Depressionen wichtige Medikamente, die zur Verfügung stehen. Neue Untersuchungen zeigen, dass der Vorteil durch Antidepressiva zumindest bei leichteren Depressionen nicht erheblich größer ist als der durch den Einsatz von Placebos erzielte. Der direkte Vergleich zwischen Gruppen von Patienten mit leichteren Depressionen, die mit Placebos im Rahmen eines Gesamttherapieplans und Patienten, die mit Medikamenten behandelt wurden, ergab, dass es in beiden Gruppen einen vergleichbar positiven Behandlungseffekt gab.
Im Vergleich zu Patienten, welche außer supportiven Gesprächen keine aktive Behandlung erfuhren, war der Behandlungseffekt bei Patienten, welche mit Medikamenten oder Placebos behandelt wurden, deutlich größer. Allerdings wurde hierbei festgestellt, dass bei regelmäßigen Gesprächen mit den Therapeuten der Vorteil der Medikamenten-Gruppe gegenüber der Placebo-Gruppe verschwand.
Nebenwirkungen bei der Behandlung mit Placebos
Resultiert die Behandlung durch Placebos allerdings in einem negativen Ergebnis, wird von einem Nocebo-Effekt statt einem Placebo-Effekt gesprochen. Ob ein Placebo-Effekt oder ein Nocebo-Effekt entsteht, hängt maßgeblich von anderen Faktoren als den Placebos an sich ab.
Zu den wichtigsten Wirkmechanismen des Placebo-Effekts gehört die subjektive Erwartungshaltung des Patienten. In einer Studie wurden verschiedene Gruppen gesunder Probanden untersucht, bei denen mit Hilfe einer Histamin-Iontophorese ein Jucken der Haut verursacht wurde. Zur „Vorbeugung“ des Juckreizes erhielten die Probanden ein Placebo (Hautspray), welches entweder als Open- oder Closed-label Placebo verabreicht wurde. Dabei wurde die Wirkung der Behandlung durch den Versuchsleiter verbal kommuniziert und jeweils entweder positiv oder negativ dargestellt. Es zeigte sich, dass eine positive verbale Darstellung der Behandlung zu einer geringeren subjektiven Wahrnehmung des Juckreizes führte. Die Erwartung an eine Behandlung kann also deren Wirkung beeinflussen, egal ob Open- oder Closed-label Placebo.
So können auch Nocebo-Effekte durch negative Erwartungen begünstigt werden. Denn Untersuchungen konnten auch zeigen, dass die durch die Einnahme von Medikamenten zu erwartenden Nebenwirkungen eine bedeutsame Rolle spielen. Patienten, die Placebos (ohne Wirkstoff) erhalten, welche mit der Erwartung von Wirkungen vergleichbarer Medikamente eingenommen werden, berichten von vergleichbaren Nebenwirkungen wie Patienten, die entsprechende „Verum“-Medikamente (mit Wirkstoff) erhalten. Die Erwartungen an das eigentliche Medikament werden also gewissermaßen auf das Placebo übertragen.
Ein weiterer Wirkmechanismus stellen Lerneffekte dar. Neue Untersuchungen zeigen ebenfalls, dass Patienten, welche zuerst mit Medikamenten (Verum) und anschließend mit Placebos behandelt werden, eine höhere Anfälligkeit für die erwarteten Nebenwirkungen der Placebos aufwiesen als Patienten, welche von Beginn an mit Placebos behandelt wurden.
Wie Ärzte Nocebo-Effekte verhindern können
Ein entscheidender Faktor für den Erfolg einer Therapie sind stellem also die bereits erwähnten subjektiven Erfolgserwartungen des Patienten (und des Therapeuten) in Bezug auf die Behandlung. Aber auch frühere Lerneffekte und Erfahrungen mit Therapien spielen eine immense Rolle.
Ist ein Patient gegenüber einer Behandlung optimistisch eingestellt, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient positive Behandlungseffekte erfährt, deutlich größer, als wenn die Erwartung an die Behandlung negativ ist. Bei einer negativen Einstellung gegenüber der Behandlung kann es sein, dass Betroffene erst gar nicht an einer Psychotherapie teilnehmen. Bei einigen psychischen Störungsbildern (z.B. Depression) ist jedoch gerade ein solcher Pessimismus bis hin zur Hoffnungslosigkeit Teil des Krankheitsbildes. In solchen Fällen kann der Psychologische Psychotherapeut durch gezielte Maßnahmen (z.B. verständnisvolle, offene Kommunikation und Haltung, offene Ansprache von möglichen Nocebo-Effekten, Beachten der Wortwahl) mögliche negative Behandlungseffekte vorbeugen.
Auch bei einer medikamentösen Behandlung kann die Interaktion zwischen bspw. Psychiater und Patient beeinflussen, ob ein Nocebo-Effekt auftritt. Durch positive Kontexteinflüsse können die positiven Effekte der Behandlung mit Antidepressiva und Placebo deutlich verbessert werden. Ist die Behandlung durch Placebos oder Antidepressiva allerdings durch einen negativen Behandlungskontext begleitet, so kann sich der dadurch entstehende Behandlungseffekt sogar ins Negative wenden.
Ziel jeder Behandlung sollte sein, möglichst alle Effekte und Faktoren für die gewünschte Wirkung zu nutzen (spezifische und unspezifische) und das Risiko für unerwünschte Wirkungen möglichst gering zu halten. Dass dabei psychologische Faktoren wie Information, Kommunikation (Instruktion), Vorerfahrungen (Konditionierung) und Erwartungen eine große Rolle spielen, ist seit langem bekannt (vgl. „aura curae“). Die neurobiologischen Hintergründe und die klinische Bedeutung der Placebo und Nocebowirkung sind weiterhin Gegenstand der aktuellen Forschung.
Literatur
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20. November 2020, 15:55