Psychotherapeutische Angebote haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Statt sich in die Praxis eines Therapeuten zu begeben, können psychisch Erkrankte heute eine Onlinetherapie in Anspruch nehmen. Doch wie effektiv sind Angebote mit digitalen Medien für die psychische Gesundheit des Menschen?
Das Seelenheil im Netz finden? Chancen & Grenzen der Internettherapie
Psychisch belastete Menschen warten in Deutschland durchschnittlich 13 Wochen auf ein Erstgespräch. 27 Wochen vergehen bis zum Beginn einer Psychotherapie. Das ist für viele zu lang. Untersuchungen zeigen, dass ein Drittel der Patienten bereits nach zwei Monaten Wartezeit gar keine Psychotherapie mehr in Anspruch nimmt. Für diejenigen, die die Wartezeit durchhalten, machen sich andere Probleme deutlich. Haben sie einen Therapieplatz ergattert, ist es oft schwierig, die Regelmäßigkeit einer Therapie einzuhalten. Wer arbeitet, mobil eingeschränkt oder alleinerziehend ist, hat ein Problem, die Termine regelmäßig wahrzunehmen.
Chancen und Formen der Onlinetherapie
Genau diese Lücke könnte die Onlinetherapie schließen. Sie würde jenen, die auf eine Psychotherapie angewiesen sind und keinen Platz bekommen oder aus organisatorischen Gründen nicht wahrnehmen können, das Leben erleichtern. Eine Onlinetherapie erreicht Menschen unabhängig von Zeit und Raum: Patienten in ländlichen Gebieten, mobil eingeschränkte, berufstätige oder zeitlich eingespannte Betroffene. Dazu würde eine Onlinetherapie auch jene erreichen, die sich bisher aus Scham oder Scheu nicht dazu durchringen konnten, einen Therapieplatz zu beantragen. Onlinetherapien sind zeitsparend, effektiv und kostengünstig.
Die Angebote, die im Rahmen einer Onlinetherapie eingesetzt werden können sind vielfältig und basieren meistens auf der klassischen Verhaltenstherapie: der Patient soll Übungen durchführen, die sein Verhalten ändern sollen und seine Stimmung beeinflussen.
Die wichtigsten Mittel in der Onlinetherapie sind:
E-Mail: Patient und Therapeut treten über E-Mail in Kontakt.
Experten-Netzwerk: Der Ratsuchende wendet sich (meist anonym) an ein Netzwerk von Therapeuten und erhält eine Antwort, die auch für andere Ratsuchende lesbar ist.
Telefon/Skype: Patient und Therapeut führen das Gespräch über das Telefon oder via Skype. Dieses Setting entspricht am ehesten dem einer klassischen Psychotherapie.
Online-Kurse und -Seminare: Der Patient nimmt an einem Online-Kurs oder -Training teil. Das können Live-Seminare sein, bei denen der Therapeut zugegen ist oder aufgezeichnete Seminare.
Facebook: Der Patient kann über die sozialen Medien mit dem Therapeuten in Kontakt treten. Vorteil für den Patienten: er kann das Profil des Therapeuten leichter überprüfen. Der Austausch findet über Nachrichten, Chat oder per Audio-/Videokonferenz statt.
Podcast: Der Therapeut stellt über iTunes mp3-Audio-Dateien für seine Patienten zur Verfügung. Die Patienten abonnieren die Audio-Tracks und hören sie auf einem mp3-Gerät an.
Was passiert mit der therapeutischen Beziehung?
Was passiert mit der persönlichen Beziehung eines Patienten zu seinem Therapeuten? Lässt sich diese überhaupt aufbauen? Diese Fragen tauchen immer wieder auf. Berechtigt – zählt die therapeutische Beziehung doch zu den bisher bekannten Hauptwirkfaktoren einer Psychotherapie. Aber stimmt das tatsächlich?
In kaum einem anderen Bereich der Psychotherapieforschung werden so viele Studien durchgeführt wie zur internetbasierten Psychotherapie. Inzwischen gibt es zahlreiche Wirkungsnachweise für Depression, Essstörung, Angststörung, Traumafolgestörung und komplizierte Trauer. Dazu gibt es eine Vielzahl an Studien, die belegen, dass in der Wirksamkeit kein Unterschied zwischen Onlinetherapien (durch einen Therapeuten begleitet) und traditioneller Einzeltherapie besteht. Onlinetherapien wirken. Auch ohne den direkten Face-to-face Kontakt zum Therapeuten.
Eine Studie von Christine Knaevelsrud von der FU Berlin zeigt, dass Patienten die Beziehung zu ihrem Therapeuten für genauso gut empfinden wie in der herkömmlichen Therapie. Viele wünschen sich, die digitalen Medien zu nutzen. Sie möchten unterwegs mit dem Therapeuten skypen, per E-Mail Dokumente austauschen oder sich eine Sitzung als Podcast anhören.
Dass die Arbeit von Therapeuten überflüssig wird ist nicht zu befürchten. Viele Studien zeigen, dass Programme, die ohne Therapeutenkontakt, also selbstgesteuert stattfinden zwar funktionieren, jedoch eine sehr hohe Abbruchquote und einen schwachen Effekt haben. Onlinetherapie wird und soll die herkömmliche Psychotherapie nie vollständig ersetzen.
Grenzen der Onlinetherapie
Patienten würden es sich wünschen, Forscher belegen eine hohe Wirksamkeit und die Therapeuten freunden sich so langsam mit dem Gedanken an. Trotzdem ist die Onlinetherapie noch nicht in der Regelversorgung in Deutschland angekommen. Die meisten Angebote sind zwar für die Patienten kostenfrei, existieren bisher aber nur im Rahmen von Forschungsvorhaben. Krankenkassen bezahlen das neue Verfahren nicht und die Berufsordnung der Psychotherapeuten verbietet eine Therapie ohne persönlichen Kontakt. Dabei würden Onlinetherapien dabei helfen, das gravierende Versorgungsproblem bei psychischen Erkrankungen zu lösen.
In den Niederlanden, England, Schweden oder Australien sind Onlinetherapien bereits seit 2006 fester Bestandteil. Deutschland hinkt hinterher. Das liegt vor allem an zwei grundlegenden Problemen.
Therapeuten dürfen reine Onlinetherapie nicht anbieten. Die Berufsordnung für Psychotherapeuten sieht vor, dass ein persönlicher Kontakt zwischen ihnen und dem Patienten besteht und dass die Therapie in den Praxisräumen stattfindet. Onlinetherapie wird den Therapeuten in den Leitlinien bisher nicht empfohlen. Wer sie nutzt, darf sie nur therapiebegleitend durchführen. Auflösen könnte das Fernverhandlungsverbot nur der Gesetzgeber selbst.
Ist zwischen qualitativ hochwertigen und weniger hochwertigen Angeboten kaum zu unterscheiden. Therapeuten und Krankenkassen fordern deshalb die Einführung von Qualitätsstandards und Gütesiegeln.
Onlinetherapie kommt zudem nicht für jedes Krankheitsbild infrage. Wissenschaftler und Therapeuten sind sich einig, welche Krankheitsbilder nicht behandelt werden sollten:
- schwere und chronische Störungen
- Psychosen
- manisch-depressive Erkrankungen
- Persönlichkeitsstörungen
- selbstmordgefährdete Patienten
Trotz einiger Schwierigkeiten und Hindernisse ist davon auszugehen, dass die Versorgungsform der Onlinetherapie irgendwann einen festen Platz neben der konservativen Therapie einnehmen wird. Es wird wohl noch einige Jahre dauern, bis jeder, der einen Anspruch auf die Onlinetherapie hätte, sie auch nutzen kann. Die konservative Therapie um etwas Neues zu ergänzen ist nicht einfach. Es braucht umfassende Forschungen, bevor etwas Neues implementiert wird.