Zwänge: Wenn bestimmte Handlungen das Leben dominieren
Wer kennt das nicht? Sie haben eine wichtige Reise vor sich und kommen abends im Bett einfach nicht zur Ruhe. Sind die Pässe auch wirklich eingepackt? Und das Ticket tatsächlich in der Tasche? Sie erinnern sich einfach nicht richtig und stehen lieber nochmal auf um nachzusehen. Eine ganz normale Situation. Doch wenn Kontrolle oder Handlungen überhand nehmen und Menschen in ihrem Alltag beeinträchtigen, geht das weit über eine normale Situation hinaus und wir sprechen von einem Zwang.
In Deutschland sind ungefähr 2 Millionen Menschen von handlungsbedürftigen Zwangshandlungen betroffen. Dazu kommt eine weitaus höhere Anzahl an Menschen, die nur vorübergehend an Zwangshandlungen leiden. Doch was genau sind Zwangshandlungen eigentlich?
Krankheitsbild von Zwangshandlungen
Am häufigsten leiden Zwangserkrankte an Kontroll- oder Waschzwängen. Die Betroffen fürchten sich davor, etwas zu übersehen und dadurch schreckliche Folgen auszulösen. Deshalb werden die Zwangshandlungen (z. B. mehrfaches Kontrollieren, ob die Türe geschlossen ist, die Fenster zu oder Lichter aus sind; bei Tätigkeiten eine bestimmte Reihenfolge einhalten müssen u. s. w.) immer gewissenhaft zu Ende geführt oder ritualisiert. Die Kontrollzwänge können in jedem Lebensbereich auftreten: bei der Arbeit im Büro, während des Autofahrens, zuhause oder unterwegs. Auch das zwanghafte Haareausreißen gehört zu diesem Störungsbild.
Betroffene von Waschzwängen treibt die Angst vor Verunreinigungen und vor der Ansteckung mit schweren Krankheiten. Meistens treten Wasch- oder Putzzwänge in Kombination mit Kontrollzwängen auf: der Betroffene kontrolliert zum Beispiel, ob sein Gegenüber gewaschene Hände hat, bevor er ihm die Hand gibt.
Zwangshandlungen, die rein auf mentaler Ebene stattfinden sind Gedankenzwänge. Demnach versucht der Erkrankte durch ritualisiertes Zählen, Beten oder Sprechen seine Unsicherheit zu kontrollieren.
Wie entstehen Zwangshandlungen?
Zwangsstörungen galten lange als chronische und nicht behandelbare Störung. Erst vor 50 Jahren wurde herausgefunden, dass durch eine Konfrontationstherapie große Erfolge erzielt werden können. Die Patienten wurden unter therapeutischer Aufsicht mit angstbesetzten Situationen konfrontiert und verzichteten darauf, durch Zwangshandlungen ihre Unruhe und Unsicherheit zu lindern. Zwangshandlungen entstehen, weil der Erkrankte denkt, wenn er die bestimmte Handlung unterließe hätte das drastische Auswirkungen. „Wenn unsere Patienten in unserer kognitiven Verhaltenstherapie nicht mehr in das Muster der Zwangshandlungen verfallen – obwohl die gefühlte Gefahr einer Ansteckung oder einem Schaden für sich und andere dominant vorhanden ist – und die Folgen ausbleiben, hat das eine nachhaltige Wirkung“, so der ausgebildete Verhaltenstherapeut Dr. phil. Dipl. Psych. Christian Klesse. Der leitende Psychologe der Rhein-Jura Klinik betont, wie wichtig die Arbeit an einem bewusst gesteuerten Umgang mit Gefühlen ist: „Mit Zwängen steuern die Betroffenen ihre Gefühle. Die Zwänge sind wie ein Ast, auf dem sie sitzen – den kann man nicht einfach absägen ohne etwas Passenderes als die Zwänge erarbeitet zu haben.“ Ergänzend kann eine medikamentöse Behandlung zu einer Symptomreduktion führen.
In der Rhein-Jura Klinik hat sich die kognitive Verhaltenstherapie bewährt, die bei Bedarf mit einer Medikation kombiniert wird. Etwa 80 % der Rhein-Jura-Klinik-Patienten profitieren von dieser Behandlungsmethode und etwa bei der Hälfte wird eine Symptomreduktion von ca. 70 % erreicht.
Zwangserkrankung – die heimliche Krankheit
Zwangsgedanken sind Gedanken, die sich den Betroffenen immer wieder aufdrängen und als äußerst unangenehm, abstoßend oder verwerflich empfunden werden. Nicht selten haben Zwangsgedanken etwas mit der Angst zu tun, andere oder sich selbst zu verletzen, zu beschmutzen, zu infizieren oder eine Katastrophe auszulösen. Oft werden die Erkrankten von „verbotenen“ religiösen oder sexuellen Gedanken gequält, obwohl diese Vorstellungen nicht mit ihrer eigentlichen Einstellung einhergehen. Die Angst, ausgelacht oder gedemütigt zu werden ist groß. Betroffene ziehen sich häufig zurück und entscheiden sich spät für eine Therapie, obwohl die Chancen auf Verbesserung gut stehen.
Nicht nur Betroffene leiden unter ihrer Zwangsstörung
Wie bei anderen Krankheiten auch, leidet nicht nur der Betroffene darunter, sondern auch seine Angehörigen. Familie und Freunde empfinden die Ausprägung der Zwangshandlungen als extrem störend und belastend, können das Kranheitsbild häufig nicht akzeptieren und versuchen, es dem Zwangserkrankten auszureden oder zu verbieten. Dennoch sollten sich Betroffene nicht in ihrem Schneckenhaus verkriechen, sondern das Gespräch mit Partner, Familie oder Freunden suchen. Das trägt zu einer Entspannung der Situation bei und entlastet die angespannte Beziehung.
Die Rhein-Jura Klinik rät zu einem gesunden Mittelmaß an Kommunikation, um die Zwänge nicht in den Vordergrund zu stellen. Die Angehörigen sollten sich über das Krankheitsbild informieren und die Erkrankung verstehen und akzeptieren lernen.
Professionelle Behandlung von Zwangserkrankungen
In unseren Kliniken erhalten Sie professionelle Hilfe. Unsere Psychologen und behandelnden Ärzte stehen Ihnen zur Seite und entwickeln mit Ihnen einen passenden Therapieplan. Weitere Informationen erhalten Sie hier.
Obwohl die kongnitive Verhaltenstherapie bei Erkrankten von Zwangshandlungen als der Königsweg gilt, schlägt sie bei manchen Menschen nicht an. Alternative Therapieformen der „Dritten Welle“ und achtsamkeitsbasierte Verfahren (ACT, MBCT), Schematherapie oder CBASP als Bereicherung oder Ergänzung der verhaltenstherapeutischen Behandlung von Zwangsstörungen gewinnen deshalb immer mehr an Bedeutung. Der Vortrag vermittelt einen Überblick über den Einsatz von Dritte-Welle-Ansätzen in der Behandlung von Zwangsstörungen und gibt anhand konkreter Beispiele einen Einblick in die Anwendung achtsamkeitsbasierter Verfahren wie achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT) und Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT).